Jlicloel Angela's
(Jm-erlriiyliclzlacil.
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schönere lebendige Figuren machen, als gemalte." Ferner
erinnern wir uns, wie er mit Leonardo da Vinci, als die-
ser sich zur Zeit Leo X in Rom befand, in heftigen Streit
gerieth und ihn aus Rom verdrängte. Endlich wie er durch
seine Unverträglichkeit mit den andern Künstlern Schuld
war, dass die von Papst Leo X beabsichtigte Vollendung
der hirchenfagade von S. Lorenzo zu Florenz nicht zu
Stande kam. Alle diese und noch andere 'l'hatsachen
beweisen, dass Michel Angelo nicht nur überaus reizbar
war, sondern dass er sich auch über alle andere Künstler
erhob und sie oft mit Geringschätzung behandelte. Die
anmassenden vVorte über Rafaefs Kunst verlieren hiedurch
ihr Gewicht in dem Mund des grossen, aber herrschsiich-
tigen Künstlers; und sein Streit mit Bramante dürfte leicht
durch sein eigenes Betragen, durch jenem zugefügte Un-
bilden veranlasst worden sein, das Sprielnvort bcwährend:
Wie man in den Wald ruft, so schallt es heraus. Je-
denfalls ist es nicht glaubhaft, dass Rafael nur entfernt
daran denken konnte ein von Michel Angelo angefangenes
Werk vollenden zu wollen, da er als ein zwar noch junger,
aber einsichtsvoller, besonnener, wohlwollender Künstler
zu gut wissen musste, wie nachtheilig es für die Einheit eines
Werkes ist, wenn zwei völlig verschiedene Individualitäten
daran arbeiten. Wie anerkennend und wahr lautßtßgegcy;
des Miehel Angelo anmassemle Äussermlg die des Rafael,
welche derselbe Condivi mittheilt, indem er berichtet, Ba-
fael habe zum öftern gesagt: „dass_er sich glücklich schätze,
zu des Michel Angele Zeiten geboren zu sein, da er durch
ihn eine andere Art, als die der alten Meister habe ken-
nen lernen."
Dem Jahr 1512 gehören noch ein Paar Portraitc von
Rafael, welche in Bezug auf ihre Behandlungsart höchst
merkwürdig sind, und einen neuen Beweis liefern, wie leicht
1) Vasen-i in den Lcbensbeschreibungen der betreifexxden Künst-
ler. 516119 auch den Brief von Baccio Bundinelli an den Herzog 1'011
Toscmxa vum 7. Deceuxber 1547 in den Lettere pittoricbe I. Nr. XXVII.
p. 71.