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Die
Schule
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Athen.
in diesem Zimmer vollendete, bezieht sich, wie schon be-
merkt worden, auf die Philosophie, und wird gewöhnlich
die Schule von Athen genannt. Es stellt dieses berühmte
Bild eine Versammlung von Philosophen der alten Wielt in
einer weiten prachtvollen Ilalle dar, die in Forschung und
Demonstrationen begriffen, und in verschiedene Schulen
geordnet, uns ein überraschend klares Bild des Lebens der
Philosophie vor Augen stellen. Da nun von Athen aus sich
hauptsächlich die Wissenschaften über Europa verbreitet
haben und in dem Bilde fast ausschliesslich griechische
Philosophen dargestellt sind, so erscheint obige Benennung
keinesweges unpassend. Ferner ist angenommen worden,
dass Rafael bei der Ilauptdisposition in dem obern Theil
der Composition, oder auf dem durch vier Stufen erhöhten
Plan, die Repräsentanten der höhern Philosophie und un-
terhalb in dem Vorgrund die Lehrer der Arithmetik, Geometrie
und Astronomie versammelt habe, welche letztere Wissen-
schaften in der. Republik des Plato als Vorbereitung zur
Philosophie anempfohlen werden. Allein bei näherer Be-
trachtung des Werkes, und da wohl anzunehmen ist, dass
bei Bestimmung und Anordnung der darzustellenden Perso-
nen die damals sehr verbreiteten zehn Bücher des Dioge-
nes aus Lacrte, Nachrichten von berühmten Philosophen
enthaltend dürften gedient haben, bin ich des Dafür-
haltens, dass unser Meister vielmehr in dem Gemälde der
Schule von Athen den Entwicklungsgang der Philosophie
bei den Griechen habe veranschaulichen wollen. Wir er-
blicken nämlich, auf der linken Seite des Vordergrundes
beginnend, die ältern philosophischen Schulen um Pytha-
goras gruppirt; Sokrates mit seinen Anhängern und Geg-
nern bildet den Übergang zu Plato und Aristoteles, welche
von ihren Schülern umgeben, in der Mitte des Bildes ste-
1) Die erste gedruckte Ausgabe dieses Werkes erschien in Rom,
die zweite in Venedig bei N. Jenson 1475. fol. und führt den _Ti-
tel: Diogenes Laertii de vitis, dogmatibus et apophthegnnatibns cla-
rorum philosophorum. Bei den nachfolgenden Angaben bediente ich
mich auch Tennemann's Grundriss der Geschichte der Philosophie
nnd des Handbuchs der Geschichte der Philosophie von T. A. Rixner.