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Der
Parnass
begleitend. Die neun Musen, in zweiSehaaren getheilt, um-
geben ihn zunächst. Es sind höchst anmnthigc Gestalten,
die aber ihrer besondern Bestimmung nach wenig charakteri-
sirt sind, da die antike Darstellungsweise zu RafaeFs Zei-
ten nicht so genau wie gegenwärtig gekannt war. Etwas
zur Linken singt der blinde IIomer die alten Ileldensagen,
welchem ein Jüngling aufmerksam zuhört, um sie auf die
Papyrusrolle, welche er auf seinem Knie hält, aufzuzeich-
nen. Hinter Homer steht, neben einem andern mit Lorbeer
gekrönten Dichter, "Virgil, der nach dem Gott der Musen
hindeutend, im Gespräch mit dem ihm zugewendeten Dante
begriffen scheint. Auf derselben Seite im Vorgrund stehen
neben der herrlichen Gestalt der sitzenden Sappho aus Mi-
tylene drei lyrische Dichter. im Gespräch mit der thcbani-
sehen Corinna, deren schönes Haar in vollen Massen die
Schultern umwallt. Es sind Alcäus, Anakreon und Petrarca.
Gegenüber im Vorgrunde rechts sitzt Pindar in begeister-
ter Rede zu Horaz gewendet, der bewundernd zu ihm her-
antritt. Die zwei darauf folgenden Dichter sind Portraite,
von denen das eine den Antonio Tebaldeo vorstellen dürfte.
Etwas ferner sieht man Ovid im lebhaften Gespräch mit ei-
nem der drei im IIintergrund stehenden Poeten, von denen
zwei den neuern Italienern angehören.
Ersehen wir nun schon aus dieser kurzen Angabe, dass
dieser Parnass eben sowohl ein italienischer, als ein anti-
ker ist, so werden wir durch die Behandlungsweise noch
viel mehr in einen der geistreiehen, höhern Zirkel Italiens
der damaligen Zeit versetzt: Überall begegnet uns darin
italienische Sitte, Grazie und Lebendigkeit; selbst Apollo,
der hier statt mit der Lyra (zwar gegen des Meisters er-
sten Entwurf) mit der Violine seinen Gesang begleitet, er-
innert uns an die zu jener Zeit übliche Art der Improvi-
satoren. Wahrscheinlich wurde Rafael (durch den Papst
oder sonst einen hohen Gönner, welcher auf diese Weise
das Andenken an einen solchen Virtuosen verewigen wollte,
dazu bewogen; und da Baldassare Castiglione in seinem
Cortegiano mit besonderer Auszeichnung das musikalische
Talent des Giacomo Sansecondo rühmt, so dürfte zu des-