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Fra
Rafael und
Bartolozzzeo.
worfen, als freie Ergüsse seines reichen Geistes zu betrach-
ten sind, die aber seiner künstlerischen Entwicklung ein
eben so grosses Bedürfniss waren, als das Ringen nach
höchstgr Vollendung und Durehbildung. Andrerseits ge-
währte ihm diese Verfahrungsweise den Vortheil, verschie-
denartigen Allfßrllßruugen Genüge zu leisten, und hiedurch
die Mittel zu erwerben, um sich in eine behagliche äussere
Lage zu versetzen. In dieser Zeit seiner sich entfaltenden
Blüthe machte llafael die nähere Bekanntschaft mit dem ihm
an Jahren überlegenen Dominicaner Fra Bartolomeo di
S. Marco, welcher, nachdem er längere Zeit die Malerei
aufgegeben, sich ihr wieder zugewendet und ein grosses,
herrlich colorirtes Gemälde in der Marcuskirche ausgestellt
hatte Nachmals erstand es König Franz I. Da nun Ra-
fael an dieses Meisters schöner Art zu coloriren ungemei-
nes Wohlgefallen fand, so suchte er dessen Bekanntschaft.
Beide gewannen eine solche Freundschaft zu einander,
dass sie viele angenehme Stunden zusammen verlebten und
ihre Kenntnisse gegenseitig austauschten. Rafael, der schon
unter Pietro Pcrugino ausgezeichnete Kenntnisse in der
Perspective erworben hatte, theilte sie dem Fra Bartolomeo
mit, und dieser dagegen unterwies ihn in seiner grossarti-
geuAnordnung der Gewänder, seinem breitern Auftrag der
Farben und in seiner schönen Behandlungstveise der Car-
nation. Ja, der junge Urbinate, nach der Leichtigkeit sich
das Vortreffliche, wo er es sah, anzueignen, und im hin-
gebendeu Eilthnsiasmus für seinen neuerworbenen Freund,
ahmte_d.essen ganze Art und Weise so sehr nach, dass die
Tafel, welche er damals für den Altar der Familie Dei in
S. Spirito zu Florenz in Arbeit hatte, bei dem ersten flüch-
tigen Anblick für ein Werk des Frate könnte gehalten wer-
den. ln dem Bilde zeigt sich uns in einer mit Säulen ge-
1) P. Serafino Razzi, Istoria degli uomini illustri Domenicani.
1596. p. 366: „l'anno 1500, 26 Luglio (Fra Bartolomeo) si vestä
frate . . dopo quattro anni riprese Parte del (lipingere, Siehe
auch Vasari im Leben des Künstlers.