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Zwei Bildnisse
in
Paris.
litz dem Licht des Himmels zu, von dem ihr die Weisheit
gekommen, durch die sie die der Weisen dieser Erde zu Schan-
den gemacht. Das herrliche Bild ist zwar nicht mit so
strengem Studium, als die Grablegung vollendet, sondern
nach vorbereitenden, noch vorhandenen Entwürfen, mit ei-
ner höchst geistreichen Leichtigkeit behandelt, die bei Ra-
fael's grossem Talent; so bezaubernd ist und, als ein fast
unmittelbarer Erguss seines Genies, oft seiner studirteren
Behandlungsweise vorgezogen wird. Das Bild ist durch den
allerdings schönen Stich von Desnoyers dem Publicum be-
kannt; allein auch hier bestätigt es sich, dass jeder Kupfer-
stich nach einem grossen Meisterwerk immer nur ein un-
genügendes Abbild ist, und dass, wenn man demnächst das
Original ansichtig wird, man beinahe etwas noch ungekann-
tes zu erblicken glaubt.
In diese, wenn nicht in eine etwas frühere Zeit, ist
auch die Entstehung eines Portraits zu setzen, welches in
Zeichnung und Haltung sehr an die Behandlungswveise des
Leonardo da Vinci erinnert. Es befindet sich im Pariser
Museum, und zeigt einen jungen Mann, wie er sich auf
ein Gesimms auiiehut und ernst -nachdenkend, beinahe
scluvermüthig aus dem Bilde sieht; eine Stimmung, wel-
.che durch den dunkeln Ton der schwarzgekleideten Figur,
die sich auf einen hellen landschaftlichen Grund absetzt,
noch sehr erhöht wird.
Einen heitern Eindruck macht dagegen in demselben
Museum das überaus anziehende Bildniss eines Jünglings
mit blonden Haaren und blauen Augen, der seinen Kopf
ungezwungen auf deni Ellbogen stützt und anmnthsvoll in
jugendlicher Unbefangenheit nach dem Beschauer sieht. Das
etwas flüchtig, aber mit Sicherheit behandelte Bild ist wohl
in einer spätern, wenn auch noch in der Florentiner Epoche
entstanden.
Von grosser Lieblichkeit ist auch jenes Madonnenbild
aus dem Hause Tempi, nun- im Besitz des Königs von Baiern,
welches zwar durch viele Kupferstiche bekannt ist, aber
neu an Reiz ercheint, wenn man es selbst zu sehen das