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Die
Grublegung.
handenes Thema nach allen Seiten hin aus- und durchge-
bildet wird, bis dass es den höchsten Grad möglicher Voll-
kommenheit erlangt. Auch Rafael liess nie die alten Tra-
ditionen und Typen ausser Acht, und hat mehreren der-
selben den höchsterreichbaren Grad der Vollendung gege-
ben. Von den vielen einzeln für das Bild der Grableginlg
gemachten Studien will ich hier nur zwei erwähnen. Das
eine, aus der Sammlung des Marchese Antaldo Antaldi aus
Urbino, befindet sich nun im Nachlass Lawrence in Lon-
don. Es stellt die Frauengruppe vor, wo in die Figur der
dahinsinkenden Maria sehr bewegt und richtig das Skelett
vom Meister hineingezeichnet ist, um sich so über die Be-
wegung der Gestalt gründliche Rechenschaft zu geben. Das
andere Studium, mit nach dem Leben gezeichneten Figuren,
bezieht sich auf die Hauptgruppe und weicht etwas von dem
ausgeführten Bilde ab. Es befindet sich in der Florentincr
Sammlung und wurde von Mulinari gestochen.
Dieser vorbereitenden Studien ist hier etwas ausführ-
lich gedacht worden, um zu zeigen, welche Anstrengungen
es sich Rafael hat kosten lassen, um den Erwartungen zu
entsprechen, zu denen seine früheren Arbeiten berechtigt
hatten, und um somit, wie Vasari berichtet, in gleichem
Grade und eben so verdienten Ruhm zu erwerben, wie
Leonardo da Vinci und Michel Angelo ihn grade damals
durch ihre Werke in Florenz erlangten. Nachdem Rafael
den Carton vollendet hatte, reiste er damit nach Perugia,
um ihn dort auszuführen, wie dieses Vasari, der in Flo-
renz genaue Kunde darüber erhalten haben konnte, aus-
drücklich berichtet. In dem sorgfältig ausgeführten Bilde
sehen wir nun den überaus edel gestalteten Körper des
Heilandes von zwei jungen, trauernden Männern zu Grabe
getragen, während Maria Magdalena in ihrem ungestümen
Schmerz noch einmal herbeieilt und die Hand, die sich so
oft zum Segnen erhoben, auf die ihrige legend, zum letz-
tenmal das Antlitz dessen betrachtet, der ihr Alles auf Er-
den war und Alles über allen Begriff in der Zukunft wer-
den sollte. Neben ihr steigt Joseph von Arimathia zur