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Pictro
Benzbds
Rede.
Leidenschaft mehr Raum in uns finde; berausche du uns
an jener nnerschöpften Quelle der Befriedigung, welche
stets erfreut und niemals sättigt, und die dem, welcher
aus ihren lebendigen und klaren Wässern trinkt, den Ge-
schmack wahrer Seligkeit gibt. Reinige du mit den Strah-
len deines Lichts unsere Augen von der iinstern Unwissen-
heit, auf dass sie nicht mehr die sterbliche Schönheit
schätzen, und erkennen, dass die Dinge, welche beim ersten
Anblick ihnen erscheinen, nicht sind; und dass die, welche
sie nicht sehen, wahrhaft sind. Nimm an unsere Seelen,
welche sich dir zum Opfer bringen; brenne sie in dieser
lebendigen Flamme, welche alle materielle Ilässlichkeit zer-
stört, auf dass sie gänzlich vom Körper getrennt, sich mit
ewigen und sanften Banden mit der göttlichen Schönheit
vereinen; und dass wir von uns selbst entfremdet, wie wahr-
haft Liebende, in den Gegenstand der Liebe umgewandelt
werden können; und von der Erde entrückt zum Male der
Engel angenommen werden, wo von llmbrosia und unsterb-
lichem Nektar gespeist, wir zuletzt des gliickseligsteil und
belebendsten Todes sterben, wie jene alten Väter starben,
deren Seelen in brennender Tugend der Contemplation du
dem Leibe entrissest und mit Gott verbandest."
„Nachdem Bembo bis hierher mitisolcher Begeisterung
gesprochen hatte, dass er abwesend und ausser sich selbst
zu sein schien, stand er ruhig und bewegungslos, die Au-
gen zum Himmel gewandt, wie erstarrt; bis dass Signora
Emilia, welche gleich den andern höchst aufmerksam sei-
ner Rede zugehört hatte, ihn an einer Falte seines Ge-
wandes fasste, und leiseschiittelnd sagte: Gebt acht, Herr
Pietro! das mit diesen Gedanken sich euch nicht auch
eure Seele von dem Körper löse. Signora, antwortete
dieser, das wäre der Wunder erstes nicht, welches die
Liebe in mir bewirkte. "t
Ob nun Rafael zu Hof gezogen wurde und jenen Abend-
unterhaltungcn auch beigewohnt habe, ist jetzt nicht mehr
zu ermitteln, gewiss abe? hat die Umgebung des Hofes