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Pietro Bembds
Rede.
S0 gross und edel indessen auch diese Liebe sei, so könne
man sie doch nicht vollkommen nennen, da sie aus der
durch die Wahrnehmung der Sinne entsprungenexi Imagina-
tion entstehe. „lst nun unser Hofmann so lässt der
Graf seinen Freund Dembo fortfahren, „zu jenem Grade ge-
langt, so will ich doch nicht, obgleich er sich für einen
viel glücklicheren Liebhaber halten darf, als die, welche dem
Elend der sinnlichen Liebe unterworfen sind, dass er sich
begniige, sondern dass er kühn vorwärts dringe, dem Füh-
rer auf der erhabenen Bahn folgend, welcher ihn bis zu
dem Ziel der wahren Glückseligkeit leitet; dass er, statt
mit den Gedanken ausser sich selbst zu gehen, wie er thun
muss, wenn er die körperliche Schönheit betrachten will,
sich nun in sich selbst kehrt, um diejenige zu betrachten,
welche man mit den Augen des Geistes sieht. Diese wer-
den nun anfangen scharf und durchdringend zu werden,
wenn die des Körpers die Bliithe ihrer Schönheit verlieren.
Dann wird die Seele entfremdet der Sünde, gereinigt durch
das Studium der wahren Philosophie, erfahren in der gei-
stigen Weisheit und geübt in den Dingen des Geistes, sich
zur Betrachtung ihres eigenen Wesens kehren; sieiwird so
zu sagen von dem tiefen Schlaf erwacht die Augen öffnen,
welche alle haben, aber nur wenige gebrauchen, und in
sich selbst einen Strahl jenes Lichtes erblicken, welcher
das wahre Bild der Engelsschönheit ist, von welchem es
dann dem Körper einen schwachen Schatten mittheilt."
'„lndem nun die Seele für irdische Dinge blind wird,
macht sie sich im hohen Grade sehend für die himmlischen,
und wenn die bewegenden Kräfte (virtii) des Körpers durch
die beständigen Contemplationen abgezogen oder vielmehr
durch den Schlaf gebunden sind, und die Seele von jenen
nicht gehindert wird, gewahrt sie eine gewisse verborgene
Spur derwahren Schönheit der Engel. Von dem Glanz
dieses Lichtes entzückt, beginnt sie sich zu entllammen,
und so begierig folgt sie "ihm, dass sie gleichsam trunken
wird und vor Verlangen, sich mit diesem zu vereinigen,
1) ll Cortegiano, hier so viel als der in der höhern Bildung
vollkommene Mann bei Hofe.