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Alturblalt für
Zllanie
Luce.
gezeichnet schöne und würdige Charaktere, nur die Iilngel
sind etwas geziert, wie dieses bei Rafael in seiner fio-
rentinischen Entwicklungsepoche in einzelnen Fällen vor-
kommt; sonst ist in diesem Gemälde sowohl die Darstel-
lung, als die Zeichnung frei von aller Manier und die
Haltung des Ganzen selbst weit grossartiger, die Gewän-
der massiger und breiter gehalten, als in allen bis dahin
ausgeführten Werken. Dieser entschiedene Fortschritt ist
einestheils dem Studium der Werke des Masaccio zuzu-
schreiben, anderntheils mag auch die Natur der Frescoma-
lerei, die zu einer breitern Behandiungsweise nöthigt, das
ihrige dazu beigetragen haben. Den untern Theil der Com-
position behielVRafael sich vor späterhin auszuführen, sei
es nun, dass die Jahrszeit schon zu weit vorgerückt war,
oder dass es ihn drängte seine Studien in Florenz wieder
aufzunehmen; wie dem auch sei, er verschob die Vollen-
dung des Frescobildes, und ist leider auch in der Folge
nicht dazu gekommen, diese Arbeit wieder aufzunehmen
und zu beendigen. Erst nach seinem Tode wurde seinem
Meister Perugino der Auftrag, den Theil der Wandma-
lerei zu vollenden, welchen sein grosser Schüler unausge-
führt gelassen hatte. Es scheint selbst kein Carton von
Rafael dazu vorhanden gewesen zu sein, denn die sechs
stehenden Heiligen, welche Perngino dazu malte, sind von
dessen eigner Erfindung und geben nur zu sehr die Al-
tersschwäche des Meisters zu erkennen.
Einen andern bedeutenden Auftrag, welchen Rafael
im September desselben Jahres 1505 erhielt, liess er vor-
erst fast ganz unbeachtet. Die Klosterfrauen von Monte
Luce bei Perugia wollten nämlich auf Veranlassung der
damals schon verstorbenen Äbtissin Chiara da Procia für
den Hauptaltar der Klosterkirche eine Himmelfahrt Mariii
durch den besten Maler ausführen lassen, und übertrugen
diese Arbeit, nach dem Rath der Bürger der Stadt und
ihrer vorgesetzten Geistlichen, dem „Meister Rafael von
Urbino", wie er, erst 22 Jahr alt, schon damals in dem
noch erhaltenen Vertrag genannt wird. Er erhielt selbst
aus den Geldern der Schwester Perinello durch die Äbtis-