Das
Sposalizio.
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stellungsweise, die hinlänglich zeigt, dass sie von Ietzterm
herrühre, und ein schönes Zeugniss von der Anerkennung
und der Dankbarkeit, welche der ältere Meister dem ihn
überflügelnden jungen Mitschüler öffentlich zu widmen kein
Bedenken trug.
Zu Anfang des Jahrs 1504 treffen wir Rafael jetzt
wohl förmlich aus der Werkstätte des Perugino getreten
wieder in Citta di Castello, wo er für die Franciscanere
kirche jene durch den Stich von Giuselzlae Longhi unter
dem Namen Sposalizio bekannte 'l'rauung der h. Jungfrau
gemalt. Sei es nun, dass gleich den alten Griechen, die
ein lvorzügliches Meisterwerk als einen geheiligten Typus
eines Götterbildes ansahen und für ihre Tempel oft wie-
derholen liessen, auch die Klostergeistlichen dem Rafael die
beschränkende Bedingung machten, ein dem berühmten Spo-
salizio ähnliches Bild zu malen, welches Meister Perugino im
Jahr 1495 für den Dom in Perugia gefertigt, oder dass
Rafael selbst von der Vortrefflichkeit desselben so einge-
nommen war, dass er es als ein heiliges Vorbild für die-
sen Gegenstand betrachtete, genug, nach des Advocaten
Giacomo Mancini Angabe ist es gewiss, dass der junge
Schüler in der Hanptanordnlmg seines Bildes, im Wesent-
lichen die "seines Meisters zum Muster nahm. Doch er-l
laubte er sich auch manche Ändrung, ordnete die Männer-
und Weibergruppen auf die entgegengesetzten Seiten, und
gab dem Tempel eine schönere Form nach- seiner Erfin-
dung. Vasari rühmt mit Recht an demselben die wohlver-
standene Linearperspective, die Rafael bei Perugino erlernt
hatte, und auf besonders anmuthige Weise anzuwenden
wusste, wie wir denn auch überzeugt sein dürfen, dass in
der Schönheit der Formen und der Feinheit der Charaktere
unser Bild bei weitem das des Perugino übertrifft. Im all-
1) Giornule Arcadico 1826. XXXII. p. 559. Da das Bild des
Perugino aus dem Dom durch die Franzosen fortgeführt wurde und
müht wieder zurückkam, so war es mir nicht vergönnt aus eigne?
Anschauung zu urtheileln. Es soll sich nun zu Caön in der N01"
Illandie befinden.