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Berichte,
Erörtern ngen.
Kritiken,
Palingenesie geeignet." Letzteres mag der Fall sein, unter anderm schon
aus dem Grunde, dass das in ihnen obwaltende System vielleicht nirgend
zu einer klaren, harmonischen Durchbildung gelangt ist, und eine solche
auszuführen, für einen umsichtigen Architekten gewiss einladend sein dürfte.
Der Verfasser schliesst seinen Vortrag über byzantinischen Baustyl mit
der Vertheidigung dieser seiner gewöhnlichen Benennung, schlägt jedoch,
um historische Irrungen zu vermeiden, eine bessere Benennung als „lom-
bardischer" Baustyl vor, was in die beliebte Kategorie der sächsischen,
normannischen, friesischen, schwäbischen u. s. w. Baustylc des Mittelalters
eliört.
g Der Verfasser geht nunmehr zum gothischen Baustyl über. Nachdem
er das tausendmal Wiederholte auch wiederholt, dass seine Benennung
unpassend sei und nachdem er auch andre Namen abgewiesen hat, schlägt
er zuerst vor, ihn als "mittelalterlichen Basilika-Styl" zu bezeichnen, ent-
scheidet sich aber später für die Benennung eines "christlich hierarchischen"
Baustyles. Denn seinen Grund und Wesen findet er in der kirchlichen
Hierarchie, deren Blüthe zwar etliche Jahrhunderte früher falle, was aber
nichts weiter ausmache, da zu dem Uebergange von einer Kllllsiart Zll einer
andern ein gewisser Zeitabschnitt nöthig gewesen sei. Nicht allein jedoch
in der Hierarchie an sich, sondern überhaupt in der ganzen gueltischen
Seite der grossen Kämpfe des Mittelalters zwischen Guelfen und Ghibelli-
nen (der Verfasser schreibt: Giebellinen). Hier könnte man billig fragen,
in welcher Weise sich denn die Seite der Ghibellinen manifestirt habe?
wir finden auch auf dieser nur Gothischcs. Uns scheint es vielmehr, als
ob die gesammte gothische Baukunst, gleich so vielen andern grossen Er-
scheinungen des Mittelalters, namentlich der bedeutsamen Bildung der
Städte, und in nächster Beziehung mit letzterer, als ein Produkt, her-
vorgegangen aus jenen Kämpfen, zu betrachten ist. Dies weiter auszufüh-
ren ist hier nieht der Ort. Ebenso übergehen wir die Spitzfindigkeiten,
mit welchen der Verfasser seine Meinung zu bestärken oder Schwierigkei-
ten zu umgehen sucht.
Wichtiger jedoch, als diese geschichtliche Ansicht des Verfassers, ist
seine gänzliche Verwerfung des gothischen Baustyles. Zwar giebt er dem-
selben "Grossartigkeit der Coneeption", rgrossen Sinn für Form und Ver-
hältnisse" zu, aber er nennt dies einen "Aufwand an Verstand, um den
Mangel an Vernunft wieder gut zu m eben", eine "künstliche, nicht kunst-
gerechte Cünsirlletion" u. s. w. DieaProtiliruugen und Vertiefungen (will
Sagen: die Gliederungen) der Säulen (will sagen: Pfeiler) seien angewandt,
um ihrer Schwere den Schein von Leichtigkeit zu geben; eben so bei den
Gewölben jene künstliche, phantastisch geformte Verrippung (die bekannt-
lich jedoch erst bei einer gewissen Ausartung des Styles eintritt). An die
Strcbepfeilcr und Strebebögen sei wiederum eine unendliche Arbeit ver-
schwendet worden, um ihren wahren Zweck zu nbemänteln" u. s. w. Ist
es glaublich, dass einem architektonisch gebildeten Manne jener klare
Organismus hat entgehen können, welcher, versteht sich, bei den der Blüthe-
zeit dieses Styles angehörigen Gebäuden so augenscheinlich heraustritt?
Der Raum dieses Blattes und der eigentliche Zweck, den der Verfasser im
Auge hat, erlauben uns auch hier nicht, im Detail zu antworten; wir ver-
weisen statt dessen auf die jüngst erschienenen "Niederländischen
Briefe von Karl Schnaase," worin dieser Gegenstand bereits aufs
Gründlichstc und Gcistreichste abgehandelt- ist. Genug, wir theiltrn die