Nochmals antike Polyohromie.
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Letzteres kann auf die Statue oder auf das Tempelgebäude bezogen wer-
den. Der Verfasser entscheidet sich (gegen Ulrichs, dem ich I, s_ 357,
mit Ueberzeugung gefolgt bin), für die Bezugnahme auf die Statue. Die
Stelle ist wichtig genug, um die Gründe für die eine und für die andre
Auffassung näher zu berücksichtigen. Nach der Erklärung des Verfassers
kann der strahlende Marmorglanz desshalb nur auf die Statue der Hekate
bezogen werden, weil hier überhaupt nur von Statuen die Rede sei.
Letzteres ist freilich richtig; bei einem compilatorischen Autor wie Plinius
kann meines Erachtens jedoch ein kleines Abspringen von dem augen-
blicklich vorliegenden Hauptgange seines Vortrages (hier also die voraus-
gesetzte Einstreuung einer Notiz über den Tempel, in dem jenes Bild
sich befand), in keiner Weise befremden, und um so weniger, als er erst
unmittelbar vorher, bei Gelegenheit der Arbeiten des Skopas und seiner
Genossen, Ausführliches über den Bau des Mausoleurns, für dessen Aus-
stattung diese Künstler thätig waren, eingeschaltet hatte. Im Uebrigen
erklärt der Verfasser den blendenden Glanz des Hekatebildes dadurch,
dass sich die übrigen Marmorstatuen von ihm durch Bemalung oder sonst
ein Mittel, welches den Marmorschimmer beseitigt, unterschieden hätten.
In diesem Falle wäre jedoch zu erwarten gewesen, dass Plinius sein
„tanta marmoris radiatio est" nicht so schlichthin (mit der Voraussetzung,
dass aller Marmor glänze und dieser nur in erheblich erhöhtem Maasse,)
ßusgesllrßßhßn, dass er hier ausdrücklich den ungefärbten oder unver-
hüllten Zustand des Marmors hervorgehoben haben würde. Wären seine
Worte aber auch unbedenklich, so bliebe doch das Räthsel ungelöst, wie
eine einzelne Statue nicht durch irgend ein künstliches optisches Mit-
tel, sondern lediglich durch die natürliche Beschaffenheit ihres Stoffes
zu so ungeheurem Glanze gelangte, dass sie die Augen des Beschaucrs
physisch blendete. Ich wüsste hiebei in der That keine andre Aushülfe,
als ein völlig banalesMährchen anzunehmen, welches dann, hier nicht
an der Kullälkellllßrsßhaft, sondern an dem gesunden Verstande des Plinius
zweifeln hiesse. Beziehen wir dagegen jene Worte auf das Tempelge-
bäude, das grösste des Alterthums und das aus allerweissestem Marmor
erbaute, so konnte dessen Betrachtung, zumal im Sonnenlichte, das Auge
in der That recht gründlich blenden. Ich vermag also nur bei dieser
Auffassung, welche mir zugleich aber ein wichtiges Zeugniss für das
Weiss in der Hauptmasse des Tempelbaues (und zunächst allerdings des
ionischen Marmorbaues) ist, zu bleiben.
Im Uebrigen beruft sich der Verfasser auf einzelne, schon bekannte
Zeugnisse über die Farbenanwendung bei antiker Sculptur. Er reiht den-
selben eins, nach R0ulez's Vorgange, an, welches mir noch unbekannt
war. Es ist ein Epigramm der lateinischen Anthologie auf die Verwand-
lung der Daphne in einen Lorbeerbaum; der Dichter bemerktyin sinniger
Weise, "wie die Hand des Künstlers gesorgt habe, dem gemeisselten Laube
und den gemeisselten Gliedern die angemessene Farbe zu wahren; wie,
indem der bunte Stein zweierlei Zeichen (duo signa) trage, die Verbin-
dung von Bildkunst und von Malerei einen wundersamen Reiz gewähre."
Die hier zu Grunde liegende Anschauung entspricht dem ganz wohl, was
wir sonst über antike Polychromie wissen; die Hülfe der Farbe dürfte die
Darstellung der sich verwandelnden Gestalt in anmuthig dekorativer Weise
gehoben haben, wobei die „duo signa", die eben nicht auf entschieden
illusorische Absicht und Wirkung schliessen lassen, vielleicht eine etwas