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Nachtrag.
Lebens behalten, jenes Anheimelnde, das unser Gemüth doch so viel
inniger berührt als alle regelrechte und kunstgelehrte Säuberung. Wobei
freilich zu bemerken ist, dass die gesammte Ausstattung an sich etwas
Maassvolles hat und die grossen architektonischen Formen würdig vor-
herrschen lässt.
Herr v. Allioli hat in seinervSchrift u. A. auch die Notizen zur Bau-
geschichte des Domes, nach den älteren Werken und neueren Forschun-
gen, zusammengestellt. Hienach ergiebt sich für die ältesten Theile des
vorhandenen Gebäudes, welche das frühromanische Gepräge tragen, die
Epoche von 994, dem Jahre des Untergangcs eines älteren Domgebäudes,
bis 1065, in welchem Jahre der damalige Neubau geweiht ward. Von
baulichen Unternehmungen der gesammlen romanischen Epoche liegt eine
weitere Kunde nicht vor. Zu diesen ältesten Theilen gehören, wie bereits
früher bemerkt, die Arkaden und Oberwände des Mittelschiffes; sie sind,
da sie doch nicht unmittelbar aus dem Ende jener Bauführung herrühren
können, als ein Werk der ersten Hälfte des elften Jahrhunderts zu be-
trachten: in der ursprünglichen Anlage einfach viereckige Pfeiler mit
ebenso einfachen Halbkreisbögen, Deck- und Fussgesimse nur aus Platte
und schräger Schmiege bestehend. Sehr bemerkenswerth ist das weite
und leichte Verhältniss; das Mittelschiff selbst ist breit; die Pfeiler sind
einigermaassen schlank, die Abstände zwischen ihnen nicht eng, die Bö-
gen somit in einer kräftigeren Wölbung geschwungen. Im Einklange hie-
mit steht es, dass nicht auf eine gewaltsame Höhenwirkung hingearbeitet
wurde, der Raum zwischen den Arkaden und den Oberfenstern des Mittel-
schiffes nicht sehr beträchtlich ist. Der Eindruck der alten Pfeilerbasilika
muss ein freier, würdiger, ruhiger gewesen sein, erheblich unterschieden
von jener massigen Wucht, jener riesenhafteu Festigkeit, jenem gewal-
tigen Emporstreben, das sich z. B. in der ursprünglichen Anlage der Dome
von Speyer und Mainz geltend macht. (Vergl. Th. II, S. 724, ff.) Die
Seitenschiffe des Domes sind (wie die des Münsters von Ulm) durch Säu-
lenreihen von spätgothischer Fassung und mit spätgothischen Gewölben
in je zwei Schiffe getheilt. Hr. v_ Allioli hält auch diese Säulen, sowie
die durch sie bewirkte Anlage der gedoppelten Seitenschitfe für Reste des
elften Jahrhunderts. Wer indess nur die ersten Elemente der Baugeschichte
sich zu eigen gemacht hat, muss einsehen, dass eine derartige Annahme
in jeder Beziehung unzulässig ist. Auch wenn der Chronist sagt, dass die
gothischen Gewölbe der Kirche nsupra vetusta intercolumnia" ausgeführt
Seien, wird jeder Einsichtige sofort erkennen, dass hiemit lediglich nur jene
alten Arkaden des Mittelschiffes (nebst den Oberwänden) gemeint sind.
Im vierzehnten Jahrhundert und in den ersten Jahrzehnten des funf-
zehnten wurden sodann umfassende Umbauten und Anbauten im gothischen
Style ausgeführt: der ausgedehnte hohe Ostchor, inden Seitenräumen mit
schlanken gegliederten Pfeilern, auch zum Theil mit Rundpfeilern, im
Einzelnen noch mit früher gothischen Motiven, während das Aeussere des
Ostchores reiche Dekorationen aus der Zeit des spätgothischen Styles ent-
hält; der schlicht gothische Westchor nebst dem, vor diesem angelegten
Querschiüe; die Ueberwölbung des Mittelsohiffes, sammt den schweren
Gurtträgermassen, welche hier den alten Pfeilern vorgelegt wurden; der
leichte Hallenbau jener gedoppelten Seiteuschiffe; der Kreuzgang, u. s. w.
Die nähere geschichtliche Sonderung dieser gothischen Theile würde ein
anhaltenderes Studium erfordern, als mir verstattet war. Für die Lokal-