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Fragmente zur
Kunst.
der
Theorie
dies schon hier, wo es sich nur um das ästhetische Verhältniss zur plasti-
schen Ausstattung handelt, ein phantastisches Missverhältniss zwischen
Mittel und Zweck zur Folge haben. Eine Wiederbelebung Borromini's
(die von andern Leuten vielleicht nicht ganz ohne Eifer erstrebt wird) ist
hier also nicht zu befürchten. Es kann sich füglich nur um die Gestal-
tung architektonisch dek o rativer Massen, die zur Aufnahme von Relief-
schmuck geeignet sind wic jener Altäre und Tempelbrunnen des grie-
chischen Alterthums handeln. Es mag als hieher gehörig etwa die
architektonische Basis, die zur Aufnahme eines grossartigen Blumen-
schmuckes, eines reichen, selbständig sich erhebenden Sculpturwerkes
bestimmt ist, genannt werden. Bei solchen Werken hat freilich die
Rococozeit ihrer bizarren Laune auch oft genug den Zügel schiessen lassen.
Aber selbst bei barocken Arbeiten jener Epoche, auf die hier Bezug zu
nehmen ist, müssen wir gar nicht selten, sofern wir überhaupt nur im
Stande sind, sie mit vorurtheilslosem Blicke zu betrachten, den rhythmi-
schen Schwung des Ganzen, die Weise, in welcher die Reliefausstattung
harmonisch mit diesem Ganzen und seiner Lebendigkeit ausgeführt ist,
das nicht minder leichte und lebendige Heraustreten der Reliefs aus dem
Ganzen bewundern. Und wohl finden wir in der Rococozeit auch Ein-
zelnes, das das volle Gepräge maassvoller Haltung hat.
Doch sind wir hier, ohne eigentliche Noth, sofort dem Extrem gegen-
übergetreten, vielleicht nur, um zu erkennen, dass auch das Extrem
mancherlei gültige Belehrung zu geben vermag. Es handelt sich hier in
keiner Weise um das Abenteuerliche, das Launenhafte, das oft nur allzu
Flaue, welches dem Rococo in andrer Beziehung sein Gepräge aufgedrückt
hat. Auch die zunächst vorangehenden Zeiten, wenn wir davon ausschei-
den, was der antikisirenden Schultradition, was jener falschen Theorie
einer auf die Plastik übertragenen malerischen Perspektive angehört, wer-
den uns und im Einzelnen in edelster und maassgebendster Weise
über jene Behandlung des Reliefs, die eine selbständig quellende Kraft
zur Erscheinung bringt und mit einer belebten architektonischen Masse in
Wechselbeziehung steht, mancherlei belehrenden Aufschluss zu geben im
Stande sein.
Noch mag es verstattet sein, eine Schlussbemerkung anzuknüpfen.
Wenn es im antiken Relief, wenigstens soweit dasselbe bei architektoni-
schen Füllungen angewandt wird, darauf ankommt, den Grund (als ein
Massenhaftes) vergessen zu machen, so wird es bei. dem modernen, dem
quellenden Relief stets von wesentlicher "Bedeutung sein, das Gefühl des
Grundes, d. h. der Masse, aus welcher das Relief sich erhebt, für das
Auge wirksam zu erhalten._ Beides gehört hier eben, sich gegenseitig be-
dingend, zu einander. Es wird daher eine mit Reliefbilduugen versehene
architektonische Masse nie in dem Grade durch dieselben zu verdecken
sein, dass ihre Eigenschaft als Masse dem Auge verschwindet. Es wird
vielmehr das charakteristisch Massenhafte stets festzuhalten sein, wozu
sich, je nach der besondern künstlerischen Aufgabe, durch ein Ueberwie-
genlassen des Körpers der Masse. durch architektonisch gegliederte Vor-
sprünge, welche sich aus der Masse entwickeln, überhaupt durch die
architektonische Gesammtfassung derselben, die auch bei ganz oder theil-
weis bewegter Formation sehr wohl ausführbar ist, die rnannigfaltigste
Gelegenheit darbieten dürfte.