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Fragmente zur
Theorie der Kunst.
dernen Kunst jene Behandlungsweise des Reliefs durch ein andres Element,
welches keineswegs eine ähnliche ästhetische Gültigkeit hat, vielfach
getrübt und beeinträchtigt worden. Dies ist die Aufnahme des aus-
sehliesslich Malerischen in das Relief, die Nachbildung der perspek-
tivischen Wirkungen, welche die Ferne mit in den Bereich der bildlichen
Darstellung zieht. Es bedarf hier des erneuten Nachweises nicht, wie
und aus welchen Gründen ein solches Element in der modernen Sculptur
Eingang fand, noch warum dasselbe künstlerisch unzulässig ist. Eine schein-
bare Verwandtschaft zwischen beiden Elementen, dem des aus dem Grunde
hervorquellenden Reliefs und dem der Andeutung malerischer Perspektive
im Relief, mag zu solcher Verbindung des innerlich doch sehr Verschie-
denartigen beigetragen haben. Das quellende Relief um diese Bezeich-
nung beizubehalten ist nicht unbedingt auf ein überall gleichmässiges
Hervortreten angewiesen; seine verschiedenen Theile werden, je nach
ihrer Energie oder Bedeutung, verschiedenartig vorspringen können, und
nur das allgemeine rhythmische Gesetz, welches die Dissonanzen verbannt
oder auflöst, wird diese Weise des Hervortretens regeln; das Relief ist
hierin einer mannigfaltiger-eh Lebensiiusserung fähig, und es ist somit bei
alledem auch die perspektivische Verschiebung und Verkürzung des dar-
gestellten Einzelgegenstandes oder von Theilen desselben (dergleichen
schon in dem mehr erhabenen, nach griechischem Prineip behandelten
Belief nicht überall umgangen werden kann) sehr wohl zulässig. Mit
dieser verschiedenen Höhe des quellenden Reliefs, mit dieser gelegentlich
vorkommenden perspektivischen Behandlung des Einzelgegenstandes stehen
nun allerdings die Bedingnisse der Nachbildung malerischer Perspektive
im Relief äusserlich parallel, während gleichwohl auch hier eine gegen-
seitige Beziehung nicht anzuerkennen ist.
Noch ein besondrer- Umstand ist hiebei zu berühren. Es liegt in der
Weise jener Reliefbehandlung, welche auf eine Aneignung der malerischen
Perspektive hinausgeht, dass hei der Darstellung von räumlich getrennten
Vorgängen verschiedene Grundlinien für die vorgeführten Gestalten an-
genommen, dass die ferneren (und kleiner gehaltenen) Gruppen im Flach-
relief, die näheren im Hautrelief ausgeführt werden. Es ist eine solche
verschiedenartige Reliefhöhe, zur Unterscheidung der Figurengruppen, auch
wohl bei andern künstlerischen Arbeiten zur Anwendung gekommen, die
im Uebrigen wesentlich nach dem strengeren griechischen Gesetze, von
dem speziell Malerischen ganz absehend, behandelt sind (und in diesem
letzteren Falle allerdings von noch mehr zweifelhaftem und das künstle-
rische Gefühl störcndem Eindrucke, weil das Auge, ohne überhaupt
weiter von jenen, 0b auch conventionell perspektivischen Elementen in
Anspruch genommen zu sein, durch den unvermittelten Gegensatz von
stark runden und flach auf die Fläche gehefteten Gestalten doppelt ver-
wirrt wird). Die gelegentlich verschiedenartige Höhe der Einzeltheile des
aus dem Grunde hervorquellenden Reliefs, die, wie angedeutet, in dem
inneren Lebenselemente desselben beruht, hat mit diesen änsserlichen
Conventionen nichts gemein.
Das quellende Relief hat einen gewissen Antheil an malerischer Wir-
kung, aber an sich lteinesweges mehr, als überall bei dem so häufigen
Wechselverhältniss zwischen verschiedenartigen Künsten die eine Kunst
von der andern ohne Gefährdung ihrer charakteristischen Eigenthümlieh-
Keil und Selbständigkeit aufzunehmen befähigt und je nach Umständen