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Fragmente
zur Theorie
der Kunst.
Handlung wie auf einer Linie vor sich geht, keine Tiefe hat und durch
einen ideellen oder-conventionellen Grund abgeschlossen wird. Es ist
eine derartige malerische Darstellung mit plastischen Mitteln. Die Be-
handlung ist naturgemäss verschieden je nach der schwächeren oder stär-
keren Erhebung des Reliefs; das entschieden tlache Relief ist vorzugs-
weise nach den Gesetzen der Umriss-Composition angeordnet, während
bei dem mehr und mehr starken Hervortreten desselben aus dem Grunde
die Gesetze der Modellirtmg und Schattenwirkung in stets ausgedehntcrer
Weise zur Anwendung kommen. (Das Gesetz der ausschliesslich maleri-
schen Perspektive bleibt ebenso naturgemäss ausgeschlossen.)
Diese Eigenthümlichkeit des antiken Reliefs wird durch die vorherr-
schende Weise seiner Verwendung, durch sein Verhältniss zur Archi-
tektur, bedingt. Es erscheint bei der Architektur an denjenigen Stellen,
welche nicht zur architektonischen Masse oder zum architektonischen Ge-
rüste gehören, sondern den Charakter von Füllungen haben. Es wird
namentlich an den Friesen und an den Giebeln angewandi; wobei zu be-
merken, dass auch die Statuenreihen in den Giebeln griechischer Tem-
pel in Betreff der Composition ganz nach den gleichzeitigen Reliefgesetzen
behandelt sind. Die Friese (im dorischen Friese die Metopen desselben)
und die Giebelfelder sollen weder die Schwere der achitektonischen
Masse zur Erscheinung kommen lassen, noch eine architektonische Func-
tion ausdrücken; an der Stelle beider soll in ihnen, wenn nicht etwa
eine spielende Dekoration beliebtwird, ein freies, individuell bewegtes
Leben sich geltend machen. Der Grund des Reliefs gehört hier für
den beabsichtigten künstlerischen Eindruck weder zur Architektur
noch zu den Gestalten des Reliefs. Er ist ein leer Neutrales, und wir
finden ihn daher, so weit nur unsre Kenntniss von der Anwendung von
Farbe bei der griechischen Architektur reicht, stets durch einen eigen-
thümlichen farbigen Anstrich sowohl von den umgebenden Architektur-
theilen als von den figürlichen Gestalten unterschieden.
Das antike Relief hat somit im Allgemeinen kein innerliches Verhält-
niss zu dem Grunde, auf welchem es ruht. Das in ihm sich geltend
machende malerische Element sieht von der Eigenschaft des körperlich
Festen in diesem Grunde ab und sucht dieselbe zu beseitigen. Das Figür-
liche und der Grund sind hier wesentlich von einander geschieden.
Eine Behandlung der Art wird überall nöthig sein, wo architekto-
nische Füllungen, wie z. B. die Lünetten der Portale an mittelalterlichen
Gebäuden, mit plastischer Darstellung versehen werden sollen, wo es sich
überhaupt darum handelt, durch solchen Schmuck die Schwere der archi-
tektonischen Masse verschwinden zu machen.
Das entgegengesetzte Verhältniss tritt ein, wo die Masse als solche
wirksam erscheinen und dennoch eine bildlich plastische Ausstattung er-
halten soll. Gleichwohl kann dieselbe Behandlung des Reliefs auch hier
stattfinden und es ist dies in der griechischen Kunst, wie an den Altären
und heiligen Brunnen, und noch mehr an den spätrömischen Sarkopha-gen,
oft genug der Fall. Es macht sich hier indess eine noch ungleich stär-
kere künstlerische Fiction geltend, als bei den Reliefs der architektoni-
schen Füllungen, indem die Masse in ihrer ganzen Starrheit und Gewich-
tigkeit als gegenwärtig empfunden werden und doch zu den lebendigen
Gebilden jenes neutrale Verhältniss, welches den scheinbaren Raum zu