FRA GMENTE
ZUR
THEORIE
DER
KUNST.
Kunstblatt 1852,
Zur Behandlung der Bogenform.
Die antike Architektur wird, nach demjenigen künstlerischen System,
welches für ihre Formenbildung das maassgebende ist, als Architravbau,
die mittelalterliche ebenso als Bogenbau charakterisirt. Wie scharf be-
zeichnend diese Unterscheidung ist, beweist die Betrachtung des antiken
Bogens, des mittelalterlichen Architravs. Der antike Bogen ist ein krumm-
gebogener Architrav, der mittelalterliche Architrav ein horizontal gedehnter
Bogen. Beides führt mit Entschiedenheit auf das Ueberwiegen des ent-
gegengesetzten Elementes.
Beides hat übrigens, wenn auch nur in einer künstlerischen Fiction,
seinen Theil von ästhetischer Gültigkeit. Der krummgebogene Architrav
ist doch mehr als die müssige Uebertragung des Princips der einen Form
auf die andre: der ruhig lastende Architrav erscheint hier, durch die
Biegung, in eine starke Spannung versetzt, die als solche eine erhöhte
Widerstandskraft (gegen einen darüber befindlichen Massendruck verwend-
bar) besitzt. Ebenso ist die Gliederung des horizontal gedehnten Bogens
keine an sich müssige Dekoration: diese Gliederung drückt das Element
der Schwingung aus, die hier einer Erhebung (W16 1m Bogen)
freilich nicht gheilhaft WBIIlgSiÜDS die von Stütze zu Stütze rasch fort-
eilende Bewegung, in ihren Einkehlungen das Sichre, In SlCh Zusammen-
gezogene dieser Bewegung, zur Erscheinung bringt.
Die mittelalterliche Bogengliederung, und namentlich die in der
Blüthe des gothisclien Styles ausgebildete Formation, bezeichnet das Ge-
setz der aufsteigenden Schwingung. Sie ist völlig ideell und steht
noch ungleich mehr als jener, nur die Spannung bezeichnende krummge-
bogene Arehitrav der antiken Architektur im entschiedenen Wider-
spruch gegen die materielle Construction, die sie geradehin verschwinden