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Berichie, Kritiken,
Erörterungen.
liehen Stunden hindurch geleuehtet hat. So ist es das Kerzenlicht von
der einen, das Tageslicht von der andern Seite und das Durcheinander-
weben beider in der Mitte des Bildes, was dem letzteren den künstleri-
schen Reiz und zugleich die eigenthümliche Stimmung giebt, auf deren
Grunde der individuelle Ausdruck dieser beiden Gestalten und ihrer Ge-
sichter, und vornehmlich der des edlen Verurtheilten, sich herausbildet.
Für die Nachbildung im Stich aber musste dies die erdenkbarst
schwere Aufgabe gewähren. Es kam nicht auf ein einfaches Verhältniss
von Lieht und Schatten und ihrer Uebergänge und jener lichten Schatten-
betonung, welche wir Helldunkel nennen, an; Alles ist hier doppelt, von
den beiden entgegengesetzten Seiten des Bildes verschieden gegeneinander-
wirkend, zu einem lebhaften Wechselspiel der Töne und Lichthauche sich
durcheinander sehlingend. In der Malerei waren die Mittel zu solcher
Kunst durch die Nachahmung der verschiedenen Liehtfärbungen gegeben;
in der Zeichnung, im Stich musste es darauf ankommen, ob es möglich
sein werde, bei Abwesenheit aller wirklichen Farbe durch die verschiedene
Weise der Behandlung dennoch einen Eindruck zu erzielen, welcher dem
der Färbungen entsprechend, welcher auch jene Wechselwirkungen der
Farbentöne in sich aufzunehmen im Stande wäre. Der Stecher des vor-
liegenden Blattes hat hierin unsres Bedünkens das Erreichbare erreicht,
und dabei in einer Weise, der wir, da sie völlig ungesucht und unge-
künstelt ist, ganz besonders unsern Beifall schenken müssen. Sein linearer
Vortrag ist im Wesentlichen überall gleich und zunächst nur je nach den
stofflichen Unterschieden der dargestellten Gegenstände im Einzelnen ver-
schieden. Dabei aber hat er mit glücklichem Seharfblick die verschiedene
Intensität des versehiedengefärbten Lichtes, die grösseren oder geringeren
Gegensätze zwischen Hell und Dunkel, welche hiebei stattfinden, die grös-
sere oder geringere Weichheit der Uebergänge, welche dadurch veranlasst
wird, ins Auge gefasst und hiernach das Gesetz seiner Taillen, für die eine
und die andere Weise der Beleuchtung und für das Durcheinanderspielen
beider, geregelt. So ist in der That ein guter Theil jener wenn der
Ausdruck erlaubt ist: musikalischen Lichtwirkungen des Gemäldes auf
den Stich übergegangen.
Hiemit und mit der energisch vollen Gesammthaltung, in welcher das
Blatt gearbeitet, ist denn auch jene Poesie der Stimmung wiedergegeben,
die bei der Betrachtung des Gemäldes, noch ehe wir den Inhalt desselben
enträthselt haben, unser Gemüth ahnungsvoll erfüllt. Von dieser Gesammt-
haltung und Stimmung umschlossen, ist endlich alles einzelne Gegenständ-
liche in entschiedener Charakteristik durchgebildet, sowohl die Stoffe der
Gewandung, als ganz besonders das Physiognomische in Händen und
Köpfen Egmont, von dem schärferen Tagesscheine beleuchtet, tritt
als. die Hauptfigur dem Auge am Wirksamsten entgegen und der geistige
Ausdruck, das Zucken des tiefen Seelensehmerzes unter der Ruhe einer
stillen männlichen Fassung, ist in diesem schönen Kopfe sehr glücklich
i) Kopf und Hände des Bischofs, auf der schwierigsten Stelle des Bildes
befindlich, wo die beiden entgegengesetzten Lichtwirkungen zum spielenden Hell-
dunkel zusammenüiessen, sind vielleicht (ohne indess weder die Totalwirkung
noch den Ausdruck zu beeinträchtigen) ein wenig zu hart behandelt. Die Thrä-
nen auf der Wange des Bischofs sind wirklichen Thränen nicht ganz ähnlich;
sie erscheinen mehr als das, womit die Thränen von den Poeten gern verglichen
werden, als Perlen.