Volltext: Kleine Schriften über neuere Kunst und deren Angelegenheiten (Bd. 3)

Die Ruhe auf der Flucht nach Aegypten. Joseph Pfeinemann 
iuv.. V. Schertle lithogr. Verlag und Eigenthlllll von V. Schertle in 
Frankfurt a. M. 
1853, 
Kunstblatt 
Eine weibliche Gestalt, zart und edel, langgewandet, barfüssig, das Haar 
mit einem Schleier bedeckt, liegt Sßlllälßllll, gegen ein Felsstüek gelehnt. 
das Haupt ein wenig zurückgexrandt. ln den Armen, mit ineinander ge- 
falteten Händen. hält sie ein schlafendes Kindchen. dessen Unterlaörper in 
ein Zeugstück gewickelt ist. lhr zur Seite, auf den littken Arm sich auf- 
stützend, sitzt eine gleichfalls langgeivandete Flügelgestalt, die liebevoll 
auf die schlafende Frau blickt und mit der Rechten einen Palrnzweig über 
ihrem Gesichtc hält, sie damit gegen die Sonne beschattentl. Hinter dem 
Felssttick, an dessen Seite einiges Reiscgeräth liegt und wo es nach einem 
Gewässer hinabgeht, ist ein härtiger Mann beschäftigt, einen Esel zur 
Tränke zu führen. In der Ferne eine Felshügel-Landschaft im Charakter 
des nicht zu tiefen europäischen Südens. ln den Ecken des Vorgrundes 
DlSlIGlSliIIKlGII, die eine neben dem nackten lfusse der schlafenden Frau. 
NVir haben es nicht nüthig, auf die im leisesten Tone gedruckte Un- 
terschrift dieses Blattes zu blicken, um sofort den Inhalt der Darstellung 
zu erkennen. Es sind die Gestalten der heiligen Tradition, wie sie from- 
mer Sinn früherer und neuerer Kunst ausgeprägt hat; es ist ein Moment 
der Ruhe auf jener Flucht, die sie zur Rettung des von blutigen Schergen 
verfolgten Kindchens unternahmen. Wir kennen diese Gestalten aus vie- 
len sinnigen Kunstschöpfungen ; der Zeichner des vorliegenden Blattes hat 
sie mit Liebe wiedergegeben, hat zugleich einen Moment gefunden, dessen 
glückliche Originalität  innerhalb der vorgezeichneten Richtung  uns 
anzieht und dessen schön durchgehaltene Stimmung unser Gemüth rührt. 
Wollten wir freilich einmal die künstlerische Tradition vergessen oder. 
umgekehrt, nach ihrer Berechtigung zur fortwirkenden Wiederkehr fragen; 
wollten wir uns den ganzen Charakter jener Zeit, wie wir ihn heute zur 
Genüge kennen. die Zustände einer tlüchtenden Familie jener Zeit im 
Sande der arabischen Wüste oder an den Ufern des Nils vergegenwär- 
tigen; wollten wir  streng festhaltend an den einfachen Bihelworten oder 
dasjenige mitberücksichtigend, was ältester Kirchenglaube hinzugefügt,  
das geistige neben dem ausschliesslich gemüthlichen Leben dieser Fa- 
milie mit in Erwägung nehmen, deren heiliges Kindlein eine Welt retten 
sollte und dessen allmächtiges Wort, nach der Sage, schon auf dieser 
Flucht die Dattelpalmen beugte, dass sie ihre Früchte den WVandernden 
hergaben, die Quellen aus den Felsen springen hiess, die Dürstenden zu 
tränken, die Sykomore öllnete, dass sie sich in der Höhlung des Baumes 
vor den Verfolgern sicher bergen mochten,  dann würden wir freilich ein 
andres, fester auf festcrem Boden stehendes, zur erbabensten That, wie 
zum erhabensten Dulden befähigtes Geschlecht vor uns sehen müssen. 
Solche Anforderung indess,  der zum Theil zwar schon, und zum 
Theil schon in machtvollster Weise, die Kunst des Cinqueeento genügt 
hat,  gehört ihrem ganzen Umfange nach erst der Kunst der Zukunft an. 
Auf das vorliegende Blatt, wie dasselbe sich einmal giebt, findet sie noch
	        
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