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Kritiken,
Berichte,
Erörterungen:
und aber tausendfältige Gebrauch bestätigt es zur Genüge. Wie selten
sind in den Liedern (wenn wir von schlechten Auswüchsen absehen) Au-
schauungen, die unsrer Zeit nicht mehr ganz entsprechen dürften, wie
z. B. jenes, ohnehin schon etwas spätere Paul Gerharrfsche NVÜI'tY:
wllurr, ich bin nichts,
Der Mann, der Alles
du aber
hat und
bist
ist."
Und wie sind im (iegentheil jene Bilder ganz in die Qusschliessentle An-
schauungsweise der Zeit ihrer Entstehung getaucht! Durchweg ist in ihnen
das naivste Hereinziehen der Darstellung in die damalige Gegenwart vor-
herrschend, theils in dem Kostüm der Nehenpersonen und in Allem: was
der Umgehung des Lebens angehört, theils und mehr als in diesem Neben-
sächlichen: in einer Weise realer Gestaltung, die durchweg das körper-
liche Gcbahren eben jener Zeit zur Schau trägt. So sehr wir diese Weise
der Darstellung anerkennen, so grosse Schönheiten wir durch sie veran-
lasst linden, so tritt sie uns doch als eine zeitlich besrhränkte, uns fremd-
artige entgegen; und wir können den erbaulicheu (lewinn, den die Blätter
uns darbieten, doch erst aus zweiter Hand, nachdem wir uns in jene,
unserer Zeit schon entlegene Anschauungsweise Yerstrtzt haben, entgegen-
nehmen. So gewinnt überhaupt die Illustration des Buches, bei R110?
Gediegenheit, einen romantisch alterthümlichen Charakter, wie die neu
aufgelegten Volksbücher und Andres, das uns die schönen VtirmäClIlHiSSC
des freilich doch vergangenen Mittelalters erneut.
Indess muss zugestanden werden, dass die Illustration überhaupt wohl
kaum in andrer Weise zu beschallen war. Die Meisterwerke der schon
freier entwickelten Italiener konnten jedenfalls wohl nur eine kleine Aus-
beute zur Verbildlichung der Geschichte und der Parabeln des neuen
Testaments gewähren, und ihre Uebertragung in die Stylistik des l-Iolz-
schnittes musste vielfache Schwierigkeiten hervorrufen. wie denn auch das
eine, hier enthaltene Blatt nach Raphael, die Verklärung Christi (der obere
Theil seines grossen Bildes), nicht eben zum Besten wirkt. DasGanze
von einem namhaften Meister der Gegenwart beschatfezn zu lassen, mochte
anderweitige erhebliche Bedenken haben, schon der voraussetzlich bedeu-
tenden Kostcn halber, die den wohlfeilcn Preis des Buches wieder unmög-
lich machen konnten. Auch durfte die durchgeführte moderne [Jarstellung
einer allgemeinen Billigung schwerlich im Voraus gewiss sein. und um so
weniger, als das, wonach in solchcr Beziehung das tiefere moderne Be-
wusstsein verlangt, eine auf gründlicher archäologischer Kenntniss be-
ruhende. vollkommen historische Objectivirung der Darstellungen an Stelle
der vorherrschenden Subjectivität der früheren künstlerischen Epochen,
cbcn noch gar nicht vorliegt. Und in diesem Fall würde, wie es scheint.
der berufene Künstler als Reformator auf seinem Gebiete eben auch
völlig selbständig hereiutreten müssen.
Wir können also schliesslich nur sagen, dass Dasjenige, was die im
Titel (les Werkes genannte Gesellschaft für den Zweck der Illustration
nach Lage der Umstände thun konnte, redlich geleistet ist, und wir haben
demnach Absicht und Leistung nur mit offnem Danke agzuerkenncn.