Die
Epistelrl
Evangelien
und
Summarieln
mit
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nen können. wäre ein solches Verzeichniss geradehin ein Bedürfniss ge-
wesen, da nicht zu erwarten ist, dass ihm die Autorschaft jedes einzelnen
Stückes ohne Weiteres gegenwärtig sei.
Das Zurückgehen auf Dürer bei der Auswahl der Compositionen er-
scheint in gewissen und allerdings sehr wesentlichen Beziehungen völlig
saehgerniiss. Abgesehen davon, dass seine, in ihren Grundzügen so ruhige
Stylistik dem äusseren Zwecke der Illustration auf das Vortheilhafteste
entgegen kam, sty erkennt man in ihm geradehin den Zeit- und Geist-
verwandten der grossen kirchlichen Iteformatoren; es ist in seinen Dar-
stellungen dieselbe Festigkeit des Sinnes, dieselbe Unbefangenheit der
Ucberzeirgung, dieselbe sichre Einfalt des Gefühles, wie z. B. in den
kirchlichen Liedern, deren sich die evangelische Kirche aus der Zeit ihrES
ersten starken Aufschwunges erfreut. Bei den Arbeiten von Dürers Nach-
folgern ist das Alles zwar minder stark und fest, es geht schon eine mehr
sinnliche Auffassung hindurch; doch tiewegen sie sich noch in derselben
Grundrichtung und durften sich somit auch seinen Darstellungen ohne
sehr erhebliches Bedenken anschliessen. Die moderne Zeit liegt von jener
Epoche durch einen bedeutenden Zwischenraum getrennt. Die hier ge-
gebenen modernen Darstellungen haben eine andre Grundlage des Gefüh-
les; doch tritt das Bestreben, sich den alten Meistern thunlichst anzu-
schliessen, mehr oder weniger ersichtlich hervor. Am Meisten ist dies bei
den, von einer bestimmten Hand herrührenden Compositionen zu den
zehn Geboten der Fall; in diesen Blättern ist etwas von jener Naivetät
L. Richters, die sich durch einen so gediegen volksthümlichcn Charakter
auszeichnet. Die übrigen modernen Darstellungen rühren voraussetzlich
insgesammt von einer zweiten Hand her. Hier sehen wir eine sehr leb-
hafte, ohne Zweifel noch jugendliche Begabung, die sich ziemlich ent-
schieden in der Nachfolge von Cornelius (und zwar von dessen Composi-
tionen zum Berliner Campo Santo) bewegt. Die Blätter verrathen
Phantasie und Geist; aber es fehlt ihnen zum Theil noch jene ruhige
Naivetät, welche, wenigstens in unsern Tagen, erst der Gewinn eines sehr
ernstliehen Ringens zu sein pflegt; im Gegensatz gegen Dürer macht sich
dieser Mangel hier doppelt bemerklich. Der junge Künstler hat gelegent-
lich zu viel Einzelbezüge, zu viel Einzelgeberden gegeben, geräth dadurch
gelegentlich selbst ins Manicristische. (Möge er zeitig diese bedrohlichste
Klippe erkennen!) Wie schön aber bei alledem dies 'l'alent ist, zeigen,
Beispiels halber, die geistvolle Darstellung des verklärten Erlösers, der
die falschen Propheten von sich weist (S. 199) und das Bild der klugen
und thürichten Jungfrauen (S. 277), wenn auch bei letzterem die moderne
Un-Naivetät wiederholt ist, die an die Stelle des Bräutigams der zehn
Mädchen den strahlenden Erlöser stellt, somit das patriarchalische Bild
ältest orientalischer Sitte, welches hier doch nur der Gegenstand einer
in sich begreiflichen künstlerischen Darstellung sein kann, zu Nichte macht.
Ich komme noch einmal auf den Kern der Illustrationen, auf die
Düreidschen Blätter, zurück. Ich verglich sie mit den kirchlichen Liedern
der Beformationsepoche: es macht sich indess zugleich ein sehr erheb-
licher Unterschied zwischen beiden geltend. Die Lieder haben es vor-
zugsweise mit ümeren, die Bilder mit äusseren Anschauungen zu thnn.
Beide sind aus ihrer Zeit geboren; aber die Lieder sind weniger an ihre
Zeit gebunden, als die Bilder. Die Lieder werden sich daher ungleich
leichter auf eine andre Zeit übertragen lassen, als jene, und der tausend-