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"Kritiken,
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rterungerl
Dies läugnet der Verfasser freilich, oder wo er das Vorhantlensein
dieser Beziehungen nicht zu läugnen vermag, bekämpft er es als eine Ent-
artung des künstlerischen Prineips. Es wird genügen und dem Leser den
Sachverhalt sofort klar machen, wenn ich nur zwei Beispiele, ein leichtes
und ein gewichtiges, aus seinem Buche anführe. Man hat bekanntlich
(und. dies ist besonders Schnaases Verdienst), die hübschen novßlliSliSChen
Züge in 'l'erburg's Genrebildern nachgewiesen: der Verfasser sagt.
es sei nichts der Art vorhanden, und freilich lässt sich darüber schwer
streiten, da Terburg schon zu lange todt ist, um den Streit entscheiden zu
können. Das Element geistiger Combination in den Bildern aus läaphaezl "s.
grosser, vollentivickelter Zeit war aber in keiner Weise in [frage zu
Stellen; der Verfasser liiugnet dessen Vorhandensein nicht, findet darin
jedoch er spricht namentlich von Raphaels Transiiguration! nur
"eigne Ueberschätzuug" des "spitzfintlelnden Verstandes", nur Dienst "im
Solde einer ausschliesslichen Menge", nur Entartung im Vcrhältniss zu der
reineren Schönheit Perugino's und der, welche Raphael selbst in der ju-
gendlichen Nachfolge dieses Meisters bewahrt hatte. Das Beispiel überhebt
mich weiterer Kritik. Dem Verfasser ist eine ganze grosse Seite der Kunst
eben verschlossen oder er will sie nicht sehen. Es wird daher auch nicht
weiter befremden, wenn er überhaupt über Raphael, Michelangelo, Leg-
nardo kurz und frostig wegeilt, während er von Rubens und von Rein-
brandt fast nicht scheiden kann und das, was als Tadel bei diesen Meistern
zu erinnern sein möchte, doch wieder nur in der Gestalt eines neuen und
eigenthümliehen Lobes verbringt.
Vielfach auch wirft der Verfasser kritische Blicke auf die Leistungen
der gegenwärtigen Malerei. Er spricht sich anerkennend aus in den u-e-
nigen einzelnen Fällen, wo er Anklängen an die Richtungen der alten
Meister des malerischen Styles begegnet; cr verwirft nach diesem Maass-
stabe ungleich häufiger, mehr oder weniger streng, das. was unsre 7.91;
hervorgebracht hat. Wieweit er Recht hat, wieweit vielleicht Uhr-geh'n
ist schwer zu sagen. Wir leben, wie es scheint, in der Zeit einer bunten
geistigen Gährung, die ohne Zweifel auch in dem künstlerischen Schaffen
ihr Spiegelbild hat; da kann es an tausendfältigen, oft gewiss sehr unreifen
Versuchen, nach diesem, nach jenem Ziele hin, auch wohl an giftig auf.
steigenden Dünsten nicht fehlen. Es gehört viel dazu, aus der Gegenwart
heraus unbefangen über die Gegenwart zu nrtheilen. Der Geist des ße-
schauers muss sich aus dem bunten Gewirre erheben, dass es sich in
Gruppen unter ihm lagere; er muss divinatoriseh in die Zukunft blicken
das Ziel vorauszuahnen, zu welchem hin das junge Leben des heutigen
Tages und sein junges Schaffen sich entwickeln wird, falls ihm zu
seiner Entwickelung überhaupt Luft und Thau und Sonne beschieden
sind. Er muss die Rechtfertigung des heutigen Strebens in diesem Ziele
suchen und darauf hiudas Urtheil über die einzelne Leistung begründen,
Was das Erzeugniss einer vergangenen Zeit ist, beruht auf seinen F39-
toren; die heutigen Leistungen sind nicht einseitig nach den vergangenen
abzumessen.
Wohl aber haben die Leistungen vergangener grosser Kunstepoehen
für das Studium von Seiten der heutigen Künstler dennoch die höchste
Bedeutung. Das Ziel liegt in ihnen klar da, und es lässt sich erforschen
und erkennen, welche Mittel angewandt, welche Kräfte in Anspannung ge-
setzt wurden, dasselbe zu erreichen. Hierin liegen für das nachgeberne