Das Wesen
der
Malerei
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als solches seine speeilische Bedeutung erhält. Den Einzelgegenstand der
Darstellung bezeichnet der Verfasser im künstlerischen Belang als gleich-
gültig; er ist ihm nur die äusserliche Handhabe, an welcher der Künstler
seine Einsicht in das Weben des Naturgeistes zum Ausdruck, zur Er-
scheinuug bringen soll. Das ist einerseits völlig richtig und kann, so
lange man sich bewusst bleibt, dass es sich um eine Seite der Sache
handelt, nicht leicht entschieden genug gefasst werden; andrerseits aber
können und müssen sich hieraus doch sehr bedenkliche Consequenzen
ergeben. Der Gegenstand an sich hat eine Fülle von Daseinsbedingungen,
denen eben auch ihr Recht geschehen muss; verliert man deren Gewicht
aus dem Auge, wendet man sich vorzugsweise den Bedingnissen des Sty-
les, der Behandlung, des Vortrages zu, so läuft man allzuleicht Gefahr,
dcr Virtuosität eine selbständige Geltung zuzugestehen. Der Verfasser
ist dagegen möglichst auf der Hut; wenigstens räumt er es in keiner Weise
ein, dass seine Lehre eine solche Gefahr in sich schliessen könne, und
doch ist dies wenigstens nach meiner Ansicht der künstlerischen Dinge
der Fall. Teniers z. B. ist dem Verfasser eine unbedingte künstlerische
Grösse, während ich in den Gestalten seiner Bilder mehr als einmal. statt
eine selbständig berechtigte Existenz (ob auch nur nach dem Begriff der
Gattung) in ihnen zu finden, in der That nur willkürliche Träger für die
Kundgebungen künstlerischer Virtuosität zu sehen vermochte.
Die Divergenz der Ansichten ist hierin indess noch so gar erheblich
nicht; man geht noch gemeinschaftlichen Weg und hält sich im einzelnen
Fall nur mehr rechts oder mehr links. Aber es sind bei den künstleri-
schen Angelegenheiten noch andre Dinge zu berühren, bei denen sich die
Divergenzals eine sehr starke ergiebt, und ich vermuthe, dass der Weg,
den Ich gehen muss, noch von vielen Andern, und nicht bloss von
seißllten Kllnstliebhabern und mangelhaft organisirten Künstlern, einge-
schlagen werden wird,
Die bllflellfle Kunst ist eben Kunst, und die Malerei ist Malerei. Das
klingt höchhchst trivial. und doch ist dieser einfachste Grundsatz noch
so wenig als ein allgemeingültiger angenommen, doch weiss man noch
so wenig zu scheiden, was dem einen und was dem andern ästhetischen
Schaffen zukommt, doch ist es eben das Verdienst des in Rede stehenden
Buches. das WVesen des spccifisch Malerischen thunlichst festgestellt zu
haben. Aber so sehr man einerseits und vorerst die Weisen des künstle-
rischen Schaiiens auseinanderhalten muss, um den festen Ausgangspunkt
einer jeden Weise zu erkennen und sicher zu hüten, ebensosehr muss man
die Punkte ins Auge fassen, wo dennoch eine Weise in die andre über-
springt. eine aus der andern nährende Quellen in sich aufnimmt. Die
Malerei ist Malerei, aber sie ist noch mehr. Sie hat die Natur und
das allgemeine Weben des Geistes in der Natur darzustellen; aber sie
führt zugleich und gerade in ihren erhabensten Werken Naturwesen
Menschen vor, denen nicht bloss der Ausdruck allgemeiner Naturkräfte
einwolmt, deren Geist ein individuell freier ist, in deren ganzem Sein die
moralischen Mächte zur Erscheinung kommen. Dies bedingt in der
künstlerischen Vorführung ein dichterisches Element, und wo die
Malerei Individuen in moralischen Conflieten verführt, wo sie zur
Historienmalerei wird, da geht sie, mehr oder weniger, über das spe-
citisch Malerische hinaus, da hat sie ihre Poetische Seite, die ebenfalls
erkannt sein will und der ebenfalls genügt werden muss.