Briefe.
Berliner
G91
Ich habe in meinem Schrcibcifer über den Schluss der Kunstausstel-
lung ltinausgeschrieben. Schon vorgestern, am Sonntag Nachmittag, haben
ihre Pforten sich geschlossen; ein prächtiges Gewitter, das über Berlin
hinzog und die schwüle Sommerluft in unsern Gassen ein wenig milderte,
anderwärts aber mit seinen Hagelkugellt die Saaten zerfetzte und Thiere
erschlug, spielte ihr das Finale. Die Vertreter unsrer dermaligen Kunst,
die in den Räumen der Akademie versammelt waren, zerstreuen sich nun
nach den vier Winden und gehen an die Orte ihrer eigentlichen Lebens-
bestimmung über oder kehren in die einsamen Werkstätten ihrer Ur-
heber zurück.
Es war das letzte Kunstparlament altenStyles, das wir gehabt haben.
Jedermann fühlt, dass vieles anders werden muss, wie im Leben, so in
der Kunst. Innerlich meint Jeder seiner Sache sicher zu sein: so fängt
man es denn billiger W'eise mit den äusserexi Formen und Gesetzen an.
Hier und dort tagen die Künstler über ihre Bedürfnisse und über die ihrer
Kunst, über das, was derselben behufs tieferer Einwirkung auf das Volk
Noth thnt und über die Stellung, die sie für das Bereich und den Stand
ihrer Thätigkeit im titfentlichen Leben in Anspruch nehmen wollen. Hier
und dort werden Petitionen in diesem Sinne an die eigenen Landesregie-
rungen und an die allgemeine deutsche Nationalversammlung in Frankfurt
berathen, beschlossen, vorgelegt.
Mich aber will es bedünken, als ob es noch ein wenig früh am 'l'age
sei. lch glaube, die Sonne steckt noch hinter den Bergen, und was ihr
dafür haltet, möchte noch erst irgend ein dunstiges Scheinbild sein. Die
Zeit und das Vaterland wollen sich erneuen; aber ihr wisst es, der alte
Wundervogel des Orients bedarf, ehe er sich verjüngt, einer Läuterung in
Flammen- Gresße Geschicke schreiten zunächst heran, bitter ernste, den
Boden, auf dem wir augenblicklich noch stehen, bis in seine Grundvesten
erschüiißfllge. ltDahvird manch ein Kartenhaus, das ihr jetzt mit alter
deutscher (Jßllllltillltjllküll, aufbaut, zusammenbrechen, und manchem schö-
nen Talente Wlfd, ehe es zur neuen künstlerischen That kommt, Kraft
und Hoffnung entschwunden sein.
Einst aber wird der Tag eines neuen Vaterlandes, eines neuen Volks-
thums erscheinen. Dann wird man auch einer neuen Kunst bedürfen, und
die Bbrmen ihrer Bethätigung, ihrer Stellung im Leben werden sich von
selber machen. Dann wird man sich umschauen nach den Kräften der
alten Zeit, welche die Stürme überdauert haben, nach den neuen Kräften,
trelche die Zeit gereift hat.
Und 0b es mir beschieden sein wird, die Feder dann wieder aufzu-
nehmen und die neue Epoche der Vaterländischen Kunst zu begrüssen?
Berlin, den 20. Juni 18481)
SGOUS
quaedam
rsed.
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dicta sint
cadgrmzz
Tacitus.