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Berichte,
Kritiken,
Erörterungen.
Doch muss ich zunächst, unter den französischen Arbeiten, bei einem
grösscren Bilde von l-lorace Vernet. einige Augenblicke verweilen. Es
stellt eine Judith dar, wesentlich verschieden von jenem Bilde der Heldin
des alten Testaments, das Vernet vor Jahren gemalt hat und das Ihnen,
wenn nicht im Original, so doch aus dem Kupfcrstich bekannt sein wird.
Erschien in letzterem die Vorbereitung zur That. so sehen wir auf dem
neueren Bilde die Judith (wie sie auch schon in dem berühmten Gemälde
von Cr. Allori dargestellt war) nach vollbrachter That. Sie schreitet eben
aus dem Zelte in die Nacht hinaus und lässt mit der Linken das l-laupt
des erschlagenen Heerführers in den Sack der Dienerin fallen, während
das Schwert ihrer Rechten entgleitet. Das Bild wirkt mit ausserordent-
lieher Gewalt, was, wie ich glaube, im Wesentlichen durch die meister-
hafte, völlig individualisirende Charakteristik hervorgebracht wird. Die
ganze Erscheinung des Weibes vergegenwärtigt uns die nationellen und
die Culturverhältnisse, aus denen eine solche That, und unter solchen
Umständen, hervorging. Wir sehen es an dieser Tracht, an diesen Schmuck-
geräthen, dass wir uns auf altorientalischern Boden befinden; wir erkennen
in dieser Gesichtsbildung ebenso den eigenthümliehen Typus des alten
Orients. Aber diese Züge haben in ihrer grossartigen Schönheit zugleich
den AllSdTllCk der gewaltigen Energie, die zu der That befähigte, und
zugleich sehen wir, wie in ihnen nunmehr, da die letztere vollbracht ist,
Siegcsstolz und Blässe des Entschlusses auf eine dämonische Weise sich
mischen; wir verstehen das mächtige gottbegeisterte Schweigen, in dem
sie ihren Weg wandelt und weiter wandeln wird, bis sie die Thore von
Bcthulien erreicht hat. Gemalt ist das Bild in seinen Einzelheiten mit
grosser Meisterschaft, wie wir es nicht anders erwarten konnten. Alles
Stoffliche, besonders das durchschimmernde Gewand der Judith ist ebenso
trefflich behandelt, wie das Nackte, namentlich der nach vorn ausgestreckte
rechte Arm der Heldin. Und doch ist bei alledem der Eindruck nicht
recht befriedigend. Ich will dies weniger aus der geringeren Schüchtern-
heit der Franzosen gegen das Grässliehe herleiten, das unsrer Phantasie
in diesem Bilde zur Linken, beim Einblick in das Zelt, durch den grossen
Blutfleck auf dem Lager und das Stück der herabhängenden Beine des
Ilolofernes vergegcnwärtigt wird. Es fehlt aber zugleich in etwas an ma-
lerischer Gesammthaltung, indem die Wirkung des Ilelldunkels, auch in
der Carnation, durch hindurchrieselnde schwärzliche Töne beeinträchtigt
wird (ein Uebelstand, der mir schon früher an einzelnen Bildern Vernefs,
obgleich nicht an seinen grossen algierischen Gemälden in Versailles, be-
rnerklich geworden ist), und es fehlt sogar auch an hinreichender plaQi-
scher Irlaltung. Suchen wir die Gründe für dieses Letztere, so wird es
uns schliesslich klar, dass die Gestalt der Judith nicht den rechten orga-
nischen Zusammenhang hat, ja, dass die verschiedenen Theile ihres Kör-
pers einander nicht folgerichtig entsprechen. So sehen wir denn selbst
noch bei einem Vernet die Idee des Bildes einseitig überwiegen und die
Wirkung desselben beeinträchtigt, Womit die Darstellung trotz aller mei-
sterlichen Praktik dennoch nicht zur vollkommenen Wahrheit ge-
diehen ist.
Leichter machen es sich freilich manche andre Franzosen mit der Idee.
So R.Fleury_ von dem unsre Ausstellung ein Bild mit einem mittelalter-
lichcn Juden-Massacre enthält. Was in diesem Bilde eigentlich vorgeht,
Grund und (lrsaclt dieser entsetzlichen Noth und Verwirrung, wird uns