Volltext: Kleine Schriften über neuere Kunst und deren Angelegenheiten (Bd. 3)

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Berichte, 
Kritiken, 
Erörterungen. 
Doch muss ich zunächst, unter den französischen Arbeiten, bei einem 
grösscren Bilde von l-lorace Vernet. einige Augenblicke verweilen. Es 
stellt eine Judith dar, wesentlich verschieden von jenem Bilde der Heldin 
des alten Testaments, das Vernet vor Jahren gemalt hat und das Ihnen, 
wenn nicht im Original, so doch aus dem Kupfcrstich bekannt sein wird. 
Erschien in letzterem die Vorbereitung zur That. so sehen wir auf dem 
neueren Bilde die Judith (wie sie auch schon in dem berühmten Gemälde 
von Cr. Allori dargestellt war) nach vollbrachter That. Sie schreitet eben 
aus dem Zelte in die Nacht hinaus und lässt mit der Linken das l-laupt 
des erschlagenen Heerführers in den Sack der Dienerin fallen, während 
das Schwert ihrer Rechten entgleitet. Das Bild wirkt mit ausserordent- 
lieher Gewalt, was, wie ich glaube, im Wesentlichen durch die meister- 
hafte, völlig individualisirende Charakteristik hervorgebracht wird. Die 
ganze Erscheinung des Weibes vergegenwärtigt uns die nationellen und 
die Culturverhältnisse, aus denen eine solche That, und unter solchen 
Umständen, hervorging. Wir sehen es an dieser Tracht, an diesen Schmuck- 
geräthen, dass wir uns auf altorientalischern Boden befinden; wir erkennen 
in dieser Gesichtsbildung ebenso den eigenthümliehen Typus des alten 
Orients. Aber diese Züge haben in ihrer grossartigen Schönheit zugleich 
den AllSdTllCk der gewaltigen Energie, die zu der That befähigte, und 
zugleich sehen wir, wie in ihnen nunmehr, da die letztere vollbracht ist, 
Siegcsstolz und Blässe des Entschlusses auf eine dämonische Weise sich 
mischen; wir verstehen das mächtige gottbegeisterte Schweigen, in dem 
sie ihren Weg wandelt und weiter wandeln wird, bis sie die Thore von 
Bcthulien erreicht hat. Gemalt ist das Bild in seinen Einzelheiten mit 
grosser Meisterschaft, wie wir es nicht anders erwarten konnten. Alles 
Stoffliche, besonders das durchschimmernde Gewand der Judith ist ebenso 
trefflich behandelt, wie das Nackte, namentlich der nach vorn ausgestreckte 
rechte Arm der Heldin. Und doch ist bei alledem der Eindruck nicht 
recht befriedigend. Ich will dies weniger aus der geringeren Schüchtern- 
heit der Franzosen gegen das Grässliehe herleiten, das unsrer Phantasie 
in diesem Bilde zur Linken, beim Einblick in das Zelt, durch den grossen 
Blutfleck auf dem Lager und das Stück der herabhängenden Beine des 
Ilolofernes vergegcnwärtigt wird. Es fehlt aber zugleich in etwas an ma- 
lerischer Gesammthaltung, indem die Wirkung des Ilelldunkels, auch in 
der Carnation, durch hindurchrieselnde schwärzliche Töne beeinträchtigt 
wird (ein Uebelstand, der mir schon früher an einzelnen Bildern Vernefs, 
obgleich nicht an seinen grossen algierischen Gemälden in Versailles, be- 
rnerklich geworden ist), und es fehlt sogar auch an hinreichender plaQi- 
scher Irlaltung. Suchen wir die Gründe für dieses Letztere, so wird es 
uns schliesslich klar, dass die Gestalt der Judith nicht den rechten orga- 
nischen Zusammenhang hat, ja, dass die verschiedenen Theile ihres Kör- 
pers einander nicht folgerichtig entsprechen. So sehen wir denn selbst 
noch bei einem Vernet die Idee des Bildes einseitig überwiegen und die 
Wirkung desselben beeinträchtigt, Womit die Darstellung trotz aller mei- 
sterlichen Praktik dennoch nicht zur vollkommenen Wahrheit ge- 
diehen ist.  
Leichter machen es sich freilich manche andre Franzosen mit der Idee. 
So R.Fleury_ von dem unsre Ausstellung ein Bild mit einem mittelalter- 
lichcn Juden-Massacre enthält. Was in diesem Bilde eigentlich vorgeht, 
Grund und (lrsaclt dieser entsetzlichen Noth und Verwirrung, wird uns
	        
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