läerlilzer
Briefe
G73
dunkel, befindlichen Gestalten erscheinen noch etwas flach. Der Künstler,
dessen Name uns seither unbekannt war, ist mit diesem Bilde, das zu den
Glanzpunkten unsrer Ausstellung gehört und sich eines nicht ermüdenden
Beifalls erfreut. plötzlich in die Reihe der Meister unsrer Zeit cingelre-
ten: möge er die Kraft besitzen, diese Stelle zu behaupten und seine
Meisterschaft immer fester und sicherer zu gründen! Denn nach so vielen
schmerzlichen Erscheinungen schnell verwelkten Ruhmes mag auch auf
dies schöne Bild noch keine unbedingt gesicherte Zukunft gegründet wer-
den. Auch erweisen sich ein Paar andre kleinere Genrebilder von der
Hand des jungen Norwegers zwar als erfreuliche, aber doch bei weitem
nicht so bedeutende Leistungen. Möge er sich nach jenem glänzenden
Wurfe nicht zu schnell sicher dünken!
Noch von ein Paar andern Genremalern Düsseldorfs habe ich zu spre-
chen. Der eine ist Hasenclever, der uns wieder einige von seinen
absonderlichen Charakterbildern gesandt hat. Das bedeutendem von die-
sen stellt das Innere eines Weinkeller-s dar. Eine reiche Gesellschaft von
älteren und jüngeren Männern, sehr würdige Herren, ehrbare Geschäfts-
männer und lockere Bonvivants durcheinander. hat zwischen den Stück-
fässern Platz genommen "und ist, ein Jeder auf seine Manier, beschäftigt,
irgend ein besonderes Gewächs zu proben. Das Licht des Küftiers erhellt
diese trauliche Runde, während einerseits die Treppe herab, auf der Einer
mit sehr unsichern Schritten cmporwankt, andrerseits durch das Keller-
fenster, unter dem ein Paar, unbekümmert um das ernste Studium der
'Üebrigen, Brüderschaft trinken, ein Schimmer des Tagesliehtes einfällt.
Das Bild hat durchweg eine frappante Lebendigkeit und zugleich, bei jenen
verschiedenartigen Lichteffekten, eine interessante und vortrefflich durch-
geführte malerische Haltung. Wir sehen dem Geschäft der Versammelten
1111i Sun" Fmude Zu, aber wir halten es bei allen Vorzügen des Bil-
des doch nlcht lflnge ans: All dies Gesichtersehneiden, rechts und links
und VOYfl 11ml hinten, will gar nicht aufhören; wir fühlen uns unheim-
lici1;_r11r_ meinen zuletzt, wir befänden uns gar in einem Irrenliause. Es
ist ein eigen Ding mit dem Humor in der Kunst; ich glaube er bedarf
einer sehr gehaltvollen Unterlage. Auf eine andre Weise mnheimlich
wirkt auf mich C. Hübner mit seinen Tendenzbildern. Diesmal haben
wir von ihm ein grosses Gemälde, "die Auspfändung." Es ist das Innere
des Hauses einer armen Familie, deren Physiognomie es aufs deutlichste
erkennen lässt, dass sie ohne Verschulden in die bittcrste Dürftigkeit ver-
sunken ist. Schergen der Gerechtigkeit wühlen die Winkel des Hauses
durch, den Armen die letzten Habseligkeiten abzupfänden; ihr Chef ist
ein meisterhaftes Musterbild eiskalten mephistophelischen Hohnes. Das
Bild ist durchweg gediegen und mit schlagender Lebendigkeit gemalt;
aber gerade darum ist es doppelt entsetzlich und es kostet mich starke
Ueberwindung, hier nicht schneller darüber hinzugeben, als ich es thue.
Ist das, trotz dieses meisterlichen Pinsels, noch Kunst? kann ein Werk,
das die jammervollstc Zerrissenheit menschlichen Daseins mit geflissent-
licher Vermeidung alles irgendwie tragischen Confliktes zum Gegenstande
hat, noch den Anspruch machen, uns zu kräftigen, zu erbauen, uns über
das Gemeine zu erheben? Das war freilich auch wohl nicht die Absicht
des Künstlers; er wollte uns vielleicht unmittelbar die geheimen Abgründe
des Elends darlegen und zur Abhülfe auffordern. Dazu aber genügt ein
Kugler, Kleine Schriften. lll. 43