Berliner Briefe.
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gnomie des Ganzen nicht recht dem Charakter des dreizehn ten Jahrhun-
derts entspricht, wie uns die Personen desselben in ihrem äusseren Ge-
bahren, in ihrem Fühlen und Denken aus den Bildnissen auf den Grab-
steinen jener Zeit und aus den Dichtungen (namentlich den Minneliedern,
auch den derben eines Nithart) hinlänglich bekannt sind. Die hier Dar-
gestellten reichen höchstens bis in den Anfang des sechzehnten Jahrhun-
derts zurück; sie sind fast sämmtlich für das Jünglingshafte des dreizehnten
Jahrhunderts etwas zu poesielos; nur ein paar weibliche Köpfe im Hinter-
grunde und der eines ritterlichen Jünglinge zur Rechten entsprechen be-
stimmterjenerfrüheren Zeit. Ich bitte Sie, mich mit dieser Bemerkung nicht
misszuverstehen: ich verlange keine Frauentaschenbuch-Ritter, Wohl über,
wenn es einmal streng historische Auffassung gilt, den spccifischen Cha-
rakter der ausgewrählten Zeit. Und was also sagt uns der Carton über
dies Talent, auf dem so grosse Hoffnungen ruhen sollen? lch weiss es
nicht und will einstweilen mich mit dem Gedanken zu befreunden suchen,
dass der Künstler selbst seine Fehlgriffe eingesehen haben wird.
Zu den aus Italien neuerlich heimgekehrten Pensionirten der Akade-
mie gehört ferner O. Meyer. Er hat mehrere italienische Genrebilder
ausgestellt, Scenen einfachen römischen Volkslebens, die durch die Frische
der Auffassung, welche sich von aller sentimentalen Koketterie durchaus
fern hält, die kräftige, volle Malerei und die energische Gesammthaltung
vortheilhaft auszeichnen. Er hat sich hierin, wie schon in früheren Bil-
dern, die wir von ihm sahen, ein Feld bereitet, auf dem er sich mit
erfreulicher Thätigkeit bewegt. Andre unsrer Genremaler halten an an-
dern Darstellungskreisen fest. So hat uns z. B. Edm. Rabe in seiner
gewohnte" aßßprechenden Weise wiederum verschiedene, sorgfältig gemalte
Scenen aus_der Zeit des deutsch-französischen Krieges von 1813 bis 15
gebracht, Pietrowski wiederum die Scene eines übermüthigen studenti-
schen Tnnkgelages, Öle im Einzelnen vortrefflich behandelt und im Ganzen
nur GtVfälS Zlhbunt ausgefallen ist, Kretzschmer wiederum Darstellungen
des orientalischen Volkslebens, die durch die Frische der Anschauung
ansprechen und noch höheren Werth haben würden, wenn sie mit mehr
künstlerischem Ernst behandelt wären. So fahren v. Rentzell, W.
Meyerheim (der jüngere der beiden Bruder), Hosemann, der gewandte
Illustrator, u. A. m. fort, uns Bilder zu liefern, die immer einen angeneh-
men Zimmerschmuck abgeben werden, während wieder Andere, deren
Name uns bisher nicht eben aufgefallen, wie z. B. Radike, Heiden-
reich, Friedcnreich u. A. m. für die Zukunft zu merken sein werden.
In höherer Eigenthümlichkeit steht diesen Genremalern Eduard
Meyerheim, von dem die Ausstellung sechs Bilder bringt, gegenüber-
Dies ist einer derjenigen Künstler, auf die Berlin stolz zu sein alle Ur-
suche hat. Sie haben, lieber Freund, schon vor Jahren die SClIYiUE
Meyerheirns, als er noch erst das Feld suchte, auf dem er gross sein
sollte, mit lebhafter Theilnahme verfolgt; Sie würden sich freuen, ihn
jetzt auf derjenigen meisterlichen Höhe zu erblicken, die die Tendenzen
und Stimmungen, die künstlerischen Neigungen und Abneigungen der Zeit
hinter sich lässt und Werke schatft, welche gleich denen der älteren
Meister jeder Zeit gerecht sein werden. Der Kreis, in dem er sich be-
wegt, ist scheinbar klein, die Gegenstände, welche er darstellt, sind
scheinbar geringfügig; aber er würde es uns lehren falls wir es nicht
eben schon anderweitig gelernt hätten dass es in der Kunst keine