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I, Kritiken
Berichte
Erörterul
ngeu.
hztlbivege doch noch wie auf der Fläche aufzuliegen. Wer aber so viel
erreicht hat, wird, wenn er will, auch noch mehr zu erreichen wissen.
Ich habe Ihnen schon gesagt, dass die Berliner Historienmalerei nur
ein Bild der Gegensätze ist; schütteln Sie also nicht den Kopf, wenn ich
Ihnen schon wieder einen neuen Gegensatz verführe. Es sind die Arbei-
ten von A. Menzel. Sie kennen das merkwürdige und in seiner Art
einzige Talent dieses Künstlers aus den Illustrationen, die er zu Kugleids
Geschichte Friedrichs des Grossen und andern Werken geliefert hat, auch
vielleicht aus seinen Radirungen. Sie wissen, es ist eine daguerreotyp-
artige Realität in seinen Anschauungen, eine historische Tüchtigkeit in
seinen Compositionen (wenigstens so weit sich diese in der Geschichte
des vorigen Jahrhunderts bewegen), die in solcher Art fast nicht ihres
Gleichen findet. Man war höchst gespannt, wie er sich, nach so viel
Arbeiten kleinen Maassstubes, in selbständigen, durchgeführten Bildern
zeigen würde. Die vorige Ausstellung hatte ein einfaches Genrebild in
Oel von seiner Hand gebracht, wodurch die Frage eigentlich noch unge-
löst geblieben war. Die diesjährige bringt ein Paar Oelskizzen, wovon
besonders die eine, die das Innere einer alten Kirche mit zur Predigt ver-
sanunelter Gemeinde darsellt, zwar wieder seine unläugbare Genialität,
auch für eigentliche malerische Haltung und Stimmung, bestätigt, aber
doch zu flüchtig hingeworfen ist, um Näheres über die Art und Weise
der Durchbildnng dieser Genialität daraus entnehmen zu können. Ausser-
dem aber sehen wir von ihm einen sehr grosscn Carton, der eine grosse
historische Composition, und zwar eine mittelalterliche Scene, enthält. Es
ist der festliche Einzug der Herzogin Sophia von Brabant mit ihrem Sohne
Heinrich, dem Erben der hessischen Herrschaft, in Marburg, im Jahr 1248.
Die Arbeit ist, aufAnlass des (itltljährigen Regierungsjubiläums des hessi-
schen Hauses, im Auftrage des Kasseler Kunstvereins gefertigt. Die Her-
zogin, im Wittwenschleier, steht auf dem Wagen und hält den fürstlichen
Knaben vor sich, auf der Lehne des lrVagens, dem Volk entgegen; sie
fährt durch ein Spalier von Berittenen und Fussgängern; der Bürgermei-
ster der Stadt oder sonst irgend ein Würdenträger, vornehme Herren und
Landleute mit Geschenken treten ihr entgegen, ritterliche Reiter folgen
ihrem Zuge; im Hintergrunde sieht man die im Bau begrillene Marburger
Elisabethkirche. Die Handlung erscheint, wenn man sich in den Carton hin-
einsieht, der eine etwas mehr energische Haltung haben könnte, vollkommen
lebendig und dem gewählten Momente entsprechend; alles Einzelne ist
wahr und empfunden. Und doch macht das Ganze keinen recht befriedi-
genden Eindruck. Der Grund liegt zunächst wohl in der verwunderlichext
Wahl des Standpunktes, den der Zuschauer einzunehmen genöthigt ist,
Er steht nämlich hinter dem einen Spalier und hat somit im breiten Vor-
grunde verschiedene Rückenansichten, von Pferden und Personen, die für
das Ganze und dessen Bedeutung doch allzuwenig Interesse gewähren.
Vielleicht werden Sie hier, lieber Freund, mit ihrem zweidcutigen Lächeln
bemerken, das sei ja eben im höchsten Maasse die Naivetät und Realität,
nach der ich fort und fort verlange. Ich bitte um Entschuldigung: sie ist
es nicht gänzlich; ich bin vor das Bild hingetreteu, um den Einzug der
Herzogin zu sehen, den mir die Rücken eben verdecken. Dann ist hier
und da, wiederum vielleicht durch ein Uebermaass von Naivetät, eine
gewisse Seltsamkeit in Geberden und Bewegungen sichtbar, die ebenfalls
störend wirkt. Auch glaube ich bemerken zu müssen, dass die Physio-