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Berichte,
Kritiken,
Erörterungen
so wenig hinzuthun, wie davon hinwegnehmen. lch habe also die begrün-
dete Ueberzengnng, dass die weitere Ausführung dieser Entwürfe im grossen
Maassstabe ihnen nicht zum Vortheil gereichen wird. Weiter ausbilden
lässt sich dieses oder jenes Motiv natürlich, sofern dabei nur das (äesetz
der natürlichen Organisation gleichmässig festgehalten wird; wo aber ein
bestimmtes rhythmisches Gesetz, wie hier das lineare, abgeschlossen und
also ausschliesslich vorliegt, da können andre rhythmische Gesetze,
wie das der Modellirung in Schatten und Licht und das der Farbengebung,
nur zur Störung der Gesammtharmonie hereingeführt werden, es müsste
denn, was mir aber ziemlich bedenklich erscheint, der eigentliche Com-
positionsprocess noch einmal begonnen werden. Auch hat der Erfolg diese
meine Ansicht bereits bestätigt. Sie wissen, ich habe zwar eine alte An-
tipathie gegen den Besuch der Künstlerateliers; man ist da niemals frei
und unbefangen im Urtheil, man fühlt, dass man einer noch privaten 'l'hä-
tigkeit gegenübersteht, bei der es sich überhaupt nicht ziemt, zu urthei-
len, und ist man dazu dennoch getrieben und behält man, wie billig, das
Urtheil bei sich, so ist das ein unbehagliches Gefühl, dem ich mich am
liebsten eben gar nicht aussetze. lch vermeide dergleichen also soviel ich
kann; dennoch konnte ich nicht umhin , meinem enthusiastischen Freunde
zu folgen, der mich in Cornelius Atelier mitzog, als dieser den ersten
girossen Gagen zu diesen Compositiouen, und zwar deä zu der Darstiällung
(er vier eiter der Offenbarung, vollendet iatte. ewiss war in ieser
grossen Arbeit Vieles mehr späzialisirt, Vieles energischer durchgeführt
als in dem kleinen Entwurf, doch war der Eindruck für mich keineswegs
so erfreulich. Das in dem letzteren Enthaltene hatte vollständig hinge-
reicht, meine Phantasie mächtig anzuregen, die derber-e Gegenständlich-
keit der grossen Gestalten erreichte diese Wirkung nicht. Die Gßsammt-
harmonie war beeinträchtigt, manches verändert, wohl der volleren Realität
zu Liebe, ohne doch die schlagende Kraft des wahrhaft Realen zu errei-
chen, ja, bei längerem Hinsehen traten mir aufs Neue so manche Wider-
sprüche gegen das organische Gesetz der Natur und der Erscheinung
entgegen, dass mir die Erinnerung an die Tasso-Compositionen einiger-
maassen lebendig ward und ich froh war, als mein Enthusiast mich entliess.
III.
Wir haben noch einen Punkt in Berlin zu besuchen, der uns man-
cherlei Einblicke in hiesiges und beiläufig auch in auswärtiges künstle-
risches Treiben, in Wollen, Streben, Stimmung eines guten Theiles der
heutigen Kunst zu geben vermag. Wir werden dort eine Menge künstleri-
scher Kräfte versammelt finden und uns ini weiteren Umfange klar machen
können, 0b und was darunter eine wirklich verlässliche Kraft ist. Aber
eilen Sie, mein Freund, eilen Sie: der Schluss der grossen akademischen
Kunstausstellung denn dahin will ich Sie führen ist vor der Thür,
und es giebt dort Vieles zu sehen. Es ist die gewöhnliche Ausstellung,
nur diesmal, statt die sonst übliche Herbstzeit zu beobachten, in den Früh-
ling verlegt. Ich weiss nicht, 0b man, vorfühlenden Sinnes, die Ausstel-
lung absichtlich zur Begrüssung all der Dinge angeordnet haben mag, die