Berliner
Briefe.
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Bild lll) bestimmt war, wobei es nur ein wenig bequem erscheint und
für die philosophische Consequenz der Arbeit kein zu günstiges Vorurtheil
erweckt, wenn dergleichen Umstellungen so ganz ohne weitere Aenderung
vorgenommen wurden. Auf der zweiten Seitenwand (D) endlich stehen
die Lünetten mit den Hauptdarstellungen überall im unmittelbaren Zu-
sammenhang, das Dichterische der Gegenstände hier durchweg weiter
ausführend. Die Predellen dagegen sind hier, wie schon bemerkt, ganz
selbständig aufzufassen. Sie sind der Darstellung der Werke der christ-
lichen Liebe gewidmet, und es bedarf vielleicht wiederum einiger Erklä-
rung, um hierin die Idee zu finden, dass sie demnach dasjenige vergegen-
wärtigen sollen, was beim Ende der Dinge bestehend sein wird. Gegen
die Darstellung des Mittelbildes dieser letzten Wand, Christus als Welten-
richter über den klugen und thörichten Jungfrauen, muss ich aber aufs
EUlSClIlBÜCDSiC protestiren, so oft sie auch von den Künstlern in ähnlicher
Weise behandelt sein mag. Es ist hier eine Vermischung von Symboli-
schem (der Parabel) und Historischem, dessen beide Theile sich gegenseitig
vollständig aufheben. Wenn man die, in altorientalische Sitte verwach-
sene und sogar auf der Vielweiberei fassende schlichte Parabel malen will,
so gebe man naiv, was sie wahrscheinlich und lebendig macht; und wenn
man das Gericht am Ende der Tage malen will, so gebe man dieses mit
al] seinen Schauern und Schreckuissen. Arme Mädchen aber, die vor
lauter unschuldiger Müdigkeit ihre Thonlampen haben ausgehen lassen,
während ihre Schwestern auf ihre wohlerhalteiren Flämmchen stolz genug
sind, und darüber der ganze Apparat furchtbar glänzender himmlischer
Erscheinungen wer möchte sich dabei eines Lächelns erwehren können.
Und wasnützt es, wenn man mir sagt: Sie sollen sich ja bei dem, was
Sie vvr SlCll Sehen. etwas ganz Andres denken! Dazu brauche ich eben
keinen Maler und keine Kunst,
D16 Einführung der symbolischen Gruppen der acht Seligkeiten nach
den Wvflßll der Bergpredigt, zwischen den übrigen Compositionen, ist ein
schöner Gedanke und um so mehr gerechtfertigt, als der Gesammtinhalt
der Darstellungen eben zu der Seligkeit überhaupt, die den Getreuen des
Herrn vorbehalten ist, hinführt. Rücksichtlich der Art und Weise ihrer
Einschaltung aber habe ich leider wieder meine unartigen Bemerkungen
anzuhängen. Der erläuternde Text bezeichnet das Ganze als christliches
Epos und das Verhältniss der Gruppen zu den übrigen Darstellungen wie
das des Chores zur Tragödie, in den altgricchischen Dramen. Der Ver-
gleich passt nicht ganz; zum guten Theil ist in den Darstellungen, ihrer
eigentlichen Absicht nach, nicht das Historische, sondern das Dogmatisch-
didaktische überwiegend; schon die gar nicht durchgehend historische
Folge spricht dafür. Das Epische oder Dramatische ist mithin in den Dar-
stellungen nicht rein zur Erscheinung gekommen; wir werden vielmehr
schon bei vielen von ihnen selbst zum einseitigen Nachdenken, zur Ab-
straction veranlasst, während es angeblich die Absicht bei Einführung
jener Gruppen hätte sein sollen, gerade sie zu Ruhepunkten für den Ge-
danken (und für das aus dem Gedanken hervorquellende Gefühl) hinzu-
stellen. Wäre dies Letztere mit lüntschieilenheit beobachtet und durch-
geführt, so wäre in dem grossen Ganzen, auch schon in ausschliesslich
geistiger Beziehung, ohne Zweifel eine ungleich mächtigere und nachhal-
tigere 'l'otalwirknng erreicht worden. Es kommt hinzu, dass der erläu-
ternde Text zwar versichert, zwischen der einzelnen Gruppe und den