Volltext: Kleine Schriften über neuere Kunst und deren Angelegenheiten (Bd. 3)

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Berichte, 
Kritiken, 
Erörterungen. 
Soviel über das Allgemeine. Betrachten wir nun die Gliederung dcr 
Gedanken in dem Einzelzusammenhange der Darstellungen. Bei den Bil- 
dern I und II der ersten Hauptwand (A) wird diese Gliederung und der 
gleichartige Rhythmus derselben keinen Widerspruch erleiden. Anders ist 
es bei den Bildern III und IV derselben Wand. In III stehen die Dar- 
stellungen nur in ziemlich losem geistigem Zusammenhang zu einander 
und die Lünetten in beiden Bildern sagen zweimal dasselbe.  An der 
zweiten Hauptwand (B) hat das Mittelbild (III) seinen klaren Zusammen- 
hang in sich, da bekanntlich auch der Inhalt der Predclla, die Geschichte 
des Jonas, sinnbildlich auf Christi Anferstelumg gedeutet werden muss. 
Bei Bild I können wir die Lünette, Darstellung des barmherzigen Sama- 
riters, wenigstens cinigermaassen mit dem Gedanken des Hauptbildes, Auf- 
erweckung des Jünglings zu Nain, in Verbindung bringen, während uns 
jedoch die Bedeutung der Predella, Davids Tanz vor der Bundeslade, 
dunkel bleiben muss. Bei Bild III, das in der Hanptdarstellung die Anf- 
erweckung des Lazarus enthält, können wir in der Predella, Davids Sieg 
über Goliath, wieder eine sinnbildliche Beziehung vermuthen; aber die 
Bedeutung der Lünetle, mit der Darstellung der Fusswaschung, muss uns 
hier dunkel bleiben. Der erläuternde Text giebt uns den allerdings ziem- 
lich unerwarteten Aufschluss, dass hier zugleich einerseits die Liebe, an- 
drerseits die Demuth Christi dargestellt sein soll. Vermuthlich soll dies 
zugleich die Doppeldarstellung der Todtenerweckung rechtfertigen; den 
Zusammenhang der beiden Begriffe mit den beiden Thaten des Heilands 
aber vermag ich nicht einzusehen. Dass im Uebrigen die Fusswaschung 
als Symbol der Demuth Christi erscheint, ergiebt sich deutlich genug; dass 
aber Davids Tanz, weil er aus Liebe zu Gott getanzt habe, nun ein Sym- 
bol für die Liebe sei, dünkt mich doch etwas weit hergeholt, selbst wenn 
es auch schon in mittelalterlicher Symbolik gelegentlich so vorkommen 
sollte.   In der ersten Seitenwand (C) herrscht der historische Charak- 
ter, auch in Lünetten und Predellen, vor; namentlich die Bilder I und II 
erscheinen hier in vortreftlichem Gleichmaass der Anordnung, besonders 
was die Verhältnisse der Predellen tritft. In dem Bilde IV aber ist bei 
der Lünette und Predella ein ganz abweichendes Verfahren, die Gedan- 
kenrhythmik des Ganzen wiederum störend, eingeschlagen. Die Lünette 
enthält eine symbolisch-legendarische Weiterführung von dem Gedanken 
des Hauptbildes, des Martyrthums des Stephanus, und die Predella, mit 
der Darstellung des Endes von Sodom und Gomorrha, den symbolischen 
Gegensatz, sofern es nämlich des Künstlers Absicht gewesen ist, hier einer- 
seits das Ende des Gerechten, andrerseits das Ende des Sünders darzu- 
stellen. Die ganz andre Auffassung in diesem Bilde IV erklärt sich übri- 
gens dadurch, dass dasselbe Bild ursprünglich, wie es auch gestochen ist, 
für die Folge der Bilder der ersten Hauptwand (A, an die Stelle von 
1) Beiläufig kann ich zugleich nicht umhin, die Art und Weise dieser Dar- 
stellung, die sich freilich ähnlich auch schon bei früheren Künstlern findet, zu 
rügen. Wenn wir einen König an der Spitze eines feierlichen religiösen Zuges 
mit der l-Iarfe im Arm auf einem Beine hiipfend finden, so werden wir ihm 
schwerlich ein tieferes geistiges Vermögen zuzuschreiben und ihn eher unter 
Kuratel zu setzen geneigt sein. Es ist in diesem Fall wahrhaftig an eine ganz 
andre, an eine feierlich erhabene Tanzbewegung, die von allem Iliipfen und Sprin- 
gen durchaus fern bleibt, zu denken.
	        
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