Berliner
Briefe.
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'l'estan1ents zu denen des neuen festgestellt war, als vorbildliche Gegen-
stände für die Momente des letzteren einführen wollen, muss es aber im
Verlauf der Arbeit doch nicht für passlieh erachtet haben, in solcher Ge-
genüberstellung fortzufahren.
Es ist, wie gesagt, zunächst auf die Durchführung und Entwickelung
des Gedankens in diesem grossen C-yklus von Darstellungen besonderes
Gewicht gelegt werden, und ich habe bemerkt, 'dass ich in dieser Rück-
sicht nicht ganz damit einverstanden sein könne. Ich muss mir erlauben,
meine Behauptung etwas näher zu begründen.
Schon das scheint mir bedenklich, dass in dem Uebergange von den
Darstellungen der einen Wand zu denen der andern nicht die naturgemässe
Folge beobachtet ist, sondern dass man springen muss. Sodann ist in der
Folge der Darstellungen auf den einzelnen Wänden nicht dasselbe Gesetz
festgehalten; einmal wird eine Hälfte der andern entgegengesetzt, ein an-
dermal hat man von der Betrachtung der Mitte nach den Seiten, in wieder
andern Fällen von den Enden nach der Mitte zu auszugehen. Jedes
Hauptbbild steht natürlich mit der dazu gehörigen Lünette und Predella
in- Verbindung; bei der zweiten Seitenwand ist dies aber nicht der Fall,
indem hier die Folge der Predellen unter sich ein besonderes zusammen-
hängendes Ganze ausmacht. Ich fürchte, dass schon die allgemeine Orien-
tirung allzu schwierig sein würde, falls man den Besuchern nicht jedesmal
ein förmliches Textbuch in die Hand geben will.
Die erste Hauptwand (A) zerfällt in zwei etwas willkürliche Gegen-
sätze: einerseits die äusserlichen Endziele des irdischen Daseins des Erlö-
sers, Geburt undTod, andrerseits Hauptmomente seines irdischen Wirkens,
die Hinwegnahme von Krankheit und Sünde. Es wäre leicht gewesen,
hier ein innig verbundenes Ganze herzustellen, wenn der Künstler nämlich
einfach das Bilddes Todes Christi an das Ende der Wand gesetzt hätte;
die Aüürdnung hatte dann auch der der übrigen Wände mehr entsprochen,
(llG Gcsammtbedeutung der ersten Wand hätte sich eindringlicher ergeben
und die Zweite Hauptwand die den Erlöser als den Besieger des
Todes darstellt, hätte einen gewichtigeren Gegensatz gegen jene gebildet.
Uebrigens ist es auffallend. dass Cornelius hier (an der ersten Wand) die
unmittelbare Darstellung des Todes Qhristi, worauf doch im dogmatischen
Sinn ein so wesentliches Gewicht zu legen war, vermieden und statt ihrer
die elcgisch weichere, aber weniger bezeichnende der Grablegung und der
Klage über dem Leichnam vorgezogen hat; auch dies trägt dazu bei, die
Begriffe minder scharf heraustreten zu lassen. Die Wiederkunft desEr-
lösers und die vorbereitenden Momente, wie diese die Vision des alt-
christlichen Dichters erzählt (zweite Seitenwand D), bildet ferner den
angemessenen Gegensatz gegen den Inhalt der beiden Hauptwände; die
Scenen der Apostelgeschichte aber (erste Seitenwand C) erscheinen als
eingeschoben. Sie haben einen beiläufigen Charakter für den lnhalt des
Ganzen. Die grosse historische That, die grosse geistige Bedeutung der
Erscheinung des Christenthums ist mit dem irdischen Dasein des Erlösers
und dessen Ende vollständig abgeschlossen; wie wundervoll auch die erste
Gründung der Kirche in jenem eposähnlichen Berichte erscheinen mag, es
beginnt mit ihr doch die Einzelgeschichte und wo es sich, wie hier, um
eine welthistorische Anschauung im höchsten Sinne des Wortes handelt,
da würde neben ihren Einzelfakten auch noch gar manch ein hohes Ereig-
niss aus dem "Lauf der folgenden Jahrhunderte "seine Stelle finden müssen.