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Buricl
Kritiken,
Erörtel
ungen
Vorräthe überall ausliegen, rasch aufzukleben. Bei diesem leeren Putz,
den ohnehin der Regen weniger Jahre abweicht, kann aber ein wirklich
künstlerischer Sinn, wie er einer jeden edleren Natur einwohnen sollte.
durchaus nicht zur Entwickelung k0mmen,. und ebenso wenig der Sinn
für eine irgendwie dauernde Gestaltung des Daseins, der mit jenem Hand
in Hand gehen sollte. So kommt es denn schliesslich, dass uns dies neue
Berlin, trotz all seiner scheinbaren Eleganz, eben gar nicht auheiineln
will. Sicherheit und Bewusstsein des Daseins. klare, entschiedene und
bedeutsame Form spricht sich ungleich erfreulicher in den mannigfachen
Fabrikanlagen aus, die zumeist in den abgelegenen Gegenden der Stadt
aufgeführt sind. An diesen Gebäuden wird in der Regel gesundes Mate-
rial und solide Construktion unbefangen zur Schau getragen, und wie dies
die Grundbedingungen auch für die künstlerische läntfaltung der architek-
tonischen Form sind, so mögen wir von ihnen noch das Meiste für künf-
tige Entwickelungen hoffen. Bei einem dieser Gebäude hat man freilich
auch schon wieder ein Ueberflüssiges hinzugethan. Ich meine das grosse
Mühlengebäude am sogenannten Mühlendamm, das nach dem vor einigen
Jahren stattgefundenen Brande neu aufgeführt ist und von der wlangexi
Brücke" aus gesehen den hier ganz malerischen Prospect schliesst. Wohl
dieser malerischen Wirkung zu Liebe ist das Gebäude mit mittelalterlichen
Zinnen und Erkerthürmen versehen, die, statt aus der Natur der Bedürf-
nisse Gewachsenes zu geben, doch wiederum nur eine romantische Fiction
vergangener Zustände sind. Unsre Schwesterstadt Potsdam ist an sol-
chen, in neuerer Zeit entstandenen architektonischen Fictiotien ungemein
reich.
Von NVerken bildender Kunst, die in unser öffentliches Leben getre-
ten; ist ausser denen, die ich lhnen bei meiner Rundschau der Lokalitäten
bereits genannt habe, einstweilen nicht viel zu melden. Das grosse Bronze-
denkmal für Friedrich Il., welches Rauch arbeitet und dessen prächtigen,
in seiner Art einzigen Entwurf Sie kennen, rückt allerdings seiner Voll-
endung entgegen. Der Coloss des Königs, der den alten Preussenruhm
gegründet, ist sammt seinem Pferde in Guss und Ciselirung vollendet und
schon seit geraumer Zeit zur Besichtigung der Kunstfrentide aufgestellt.
Für die Treftlichkeit des Einzelnen bürgt Rauchis Name: über die 'l'0tal-
Wirkung kann ich lhnen noch nichts sagen, da die beschränkte Lokalität
eine eigentliche Ueberschau des Colosses noch nicht möglich macht. An
den Stücken des Iigurenreichen Piedestals wird ebenso schon aufs Flifrig-
ste gehämmert und gefeilt. Ueber die Zeit, wann Drake's Marmor-
denkinal Friedrich Wilhelms lll., das die Verehrer des verstorbenen Königs
im Thiergarten setzen wollten, und dessen Modell SCllOll vor längerer Zeit
öffentlicher Besichtigung anheimgegeben war, aufgestellt werden möchte.
weiss ich nichts zu sagen. Die Zeiten erscheinen dafür augenblicklich
nicht allzu günstig. Auch gestehe ich aufrichtig, dass ich das Rundpiedestal
Auch Scnlptnren, selbst Statuen in reichlicher Anzahl, d. h. eben Gyps-
abgiisse von solchen, werden nicht ganz selten zum Schmuck dieser Häuser
angewandt. Wie gänzlich gedankenlos man aber dabei unter Umständen ver-
fährt, bezeugt ein grosses palastähnliches Gebäude auf dem Pariser Platz, seit-
wärts vom Brandenburger Thor, welches auf seinen Zinnen u. A. einen Abguss
der Venus aux belles fesses trägt. Und das ist gewiss in lauterster, sogenannt
künstlerischer Absicht angeordnet!