Berliner Briefe.
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verhältnissen gewissermaassen die naiven des italienischen Mittelalters.
mit denen sie doch wenig gemein haben, siibstitiiirend. Der unverjüngte
viereckige Thiirm, der seitwärts steht, will uns nicht anmuthen; mehr
jedoch der mit Arkaden umgebene Vorhof, der die Kirche von der Strasse
trennt. Die andre Kirche ist die Matthäuskirclie im Thiergarten. Auch
sie ist im Ganzen einfach, doch im Innern durch Heiterkeit, Licht, be-
queme Anordnung der Sitzplätze im Aeussern, lilesonälersltii; derlänlage
des Thurms, durch eine gewisse, wiederum nic t a sie sose Jeganz
ausgezeichnet. Sie ist die Lieblingskirche eines grossen Theils unsrer
vornehmen Welt; eigentlich gehaltenen kirchlichen Ernst, wirksamen
künstlerischen Rhythmus in Formen und Verhältnissen habe ich dann
aber vermisst. Die böse Berliner Zunge hat ihr einen Beinamen, der alle
diese Eigenschaften und Nichteigenschaften mit dein die modiselgen
bezeichnenden Stichworte der Zeit in sich seliliesst, gegeben. 16 6155
allgemein die "Polkakirehe." Dann ist noch des neuen grossen Muster-
Krankenhauses oder der Diakonissenanstalt, die den Namen Bethanieii
führt, und ihrer Kirche zu gedenken. Die kleine Kirche, in der Mltfv
des Gebäudes gelegen, erscheint im Innern ebenfalls basilikenartig, doch
mehr schon in einer, dem Element der Renaissance sich zuneigenden Um-
bildung, im Uebrigen etwas nüchtern. In der Altarnische, doch nicht in
rechter architektonischer Vermitteluiig, ist von C. Hermann ein 131'118?-
bild des Erlösers in einem Rund von Engelsköpfen al freseo gemalt; die
Arbeit und der wirklich tiefe Ausdruck des Kopfes kommt aber nicht _zu
sonderlicher Wirkung. Im Aeussern, an der Facade des Gebäudes, wird
die Kirche und der auf religiöse Elemente gegründete Charakter des Gan-
zen durch ein Paar, an sich übrigens schlichte Thürme mit schlanken
Spitzen bezeichnet. Das sehr geräumige Gebäude der Anstalt selbst ist
durchweg einfach gehalten; nur das Vestibül hat einen reicheren und nicht
unedlen, ich möchte sagen: einen künstlerisch einladenden Charakter.
Für das Privatbedürfniss ist in den letzten Jahren ungemein viel
ggbaut worden, leider so viel, dass jetzt, bei der grossen Flucht der Rei-
chen, die Wohnungen in bedrohlicher Weise leer stehen. Wir haben ein-
zelne tüchtige , künstlerisch durchgebildete Privatbaumeister, die auch in
dieser Sphäre, soweit es die beschränkten Bedingnisse gestatten, sähr
Erfreuliches zu leisten wissen. Dahin gehören besonders einzelne er
Privathäuser in den ausserhalb der Stadt belegenen Vierteln, die voll (1611
Vermögenden zumeist gesucht werden, namentlich in der Lennestrassc
und am ehemaligen Exei-cicrplatz. Hier konnten sich die Architekten,
zum Theil selbst durch Anwendung von erkerartigen Vorbauten, frßlßl"
bewegen und manche geistreiche Coneeäiticzln zur Ausfüäirung briägtiianäsätza-
bei denn die unmittelbar gegenüberste en en grünen äume uii 1
der Schmuck der Vorsprünge und Balkone mit Blumen und Sehlingptlanzen
das lbrige beitragen, uns die heitersten Bilder voi-zuführen. _Eigen_llich
künstlerische Consequenz finden wir aber doch nur in wenigen dieser
Gebäude, und sehr gross ist leider die Menge derjenigen, die sich, Iiiiii
doch auch Staat zu machen, mit einer Masse willkürlich aufgeraffter Zier-
raten behängen und bekleben. In diesem Betracht 1st unser leichtes Bau-
matei-ial im höchsten Grade fördersam. Unsre Backsteine sind grossen-
theils so gebrannt, dass sie ohne Kalkputz vor Verwitterung nicht geschützt
bleiben; dn ist es denn zu anlockend, wolilfeile Gypsornamente, deren