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Kritikern,
läerichte,
Erörterungen.
dcrs macht es sich übel, dass die Mitte des breitgedehnten Ganzen, wo
früher der Eingang und, wenn mir recht ist, auch ein Balkon befindlich
war, jetzt gar keine Auszeichnung hat, während sich nunmehr Portale an
beiden Endseiten befinden. Die Portale an sich aber gefallen mir ganz wohl,
besonders wegen einer gewissen kecken Naivctät, die bei ihrer Composi-
tion beobachtet ist. Sie sind ncmlich, bei vortrefflicher Protilirung und
Ornamentitutig, im Halbkreise überwölbt und durch eine ebenso edle recht-
winklige Architektur umfasst; zu den Seiten aber treten starke Pilaster
vor und auf diesen, in der Höhe des Bogenansatzes der Thür, stehen
lebensgrosse Statuen, welche die verschiedenen vorzüglichst charakteristi-
schen Truppengattungen unsrer Armee darstellen. Diese Statuen sind derb
und kräftig gehalten, wie über die lebende Natur abgeformt, und doch
stimmen sie sehr wohl zu dem architektonischen Princip und selbst zu
den classisch feinen Formen, die hier angewandt sind. Man sei vor allen
Dingen nur wahr und lebendig in der Kunst: das Stylgesetz liegt davon
gar nicht so weit ab, wie manche Theoretiker und thcoretisirende Künst-
ler meinen. Das Obergeschoss des Gebäudes, mit einer kräftigen Pila_
sterstellung versehen, wird von den Untergeschossen durch einen reichen
Ornameutfries in ziemlich wirksamem Relief getrennt. Der Fries über
den Pilastern hat eine andre Decoration erhalten, ornamentistischen Waf.
fenschmuck, der al sgraflitto gezeichnet und im Verhältniss zu dem untern
Friese nur nicht wirksam genug ist. Der Versuch in dieser Technik
Sie wissen, es wird dabei in die über einen dunkeln Grund gezogene
helle Farbenschicht mit einem scharfen Stift gezeichnet gehört zu den
verschiedenartigen technischen Kunstversuchen, die in den letzten Jahren
hier gemacht oder begünstigt worden sind, ohne bis jetzt doch zu rech-
ten Resultaten zu führen. Ich hoffe, darauf hernach noch einmal zurück-
zukommen.
Von selbständigen, neuen architektonischen Kunstbauten aus den letz-
ten Jahren weiss ich lhnen nicht sonderlich viel zu melden. Das Projee;
zu unsrem neuen Reichsdome lautet auf eine mächtige fünfschifiige Basi-
lika mit grossen Gallerieen im Innern, mit zwei colossalen viereckigen
Thürmen und einem nach Art der Klosterhöfe eingerichteten Campo santo,
als Begräbnissstätte der Glieder des Königshauses, zur Seite. Die Funda-
mente haben sich, während freilich der alte Dom noch steht, schon bis in
die Mitte unsres geduldigen Sprceflusses vorgeschoben, da man es für
nöthig gehalten hat, durch dessen Einengung den erforderlichen Platz zu
gewinnen. Aus den bis jetzt getroffenen Maassnahmen lässt sich für einen
Laien, wie Ihren diesmal dienstwilligen Correspondenten, noch keine
rechte Einsicht in das Project gewinnen. Einstweilen wird wieder ziem-
lich lebhaft daran gearbeitet, wohl um die brodlosen Arbeiter zu be-
schäftigen.
Ein Paar andre Kirchen, von kleiner Dimension und einfacher Anlage,
sind in den letzten Jahren wirklich ausgeführt und vollendet worden.
Die eine ist die Jakobskirche, auf dem sogenannten Köpniker Felde, das
sich neuerlich schnell mit breiten Strassen und hohen Wohnhäusern anzu-
füllen begonnen hat. Die Kirche ist eine durchaus anspruchlose Basilika und
im Innern durch einfachen Ernst der Verhältnisse und Formen wirksam.
Im Aeussern trägt sie den etwas absichtlichen Charakter von italienischen
Gebäuden dieser Gattung und tritt uns wieder, bei aller Schlichtheit der
Ausführung, mit einiger Schönrednerei entgegen, unsern heutigen Cultnr-