Berliner
Briefe.
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eine künstlerische Wirksamkeit bedingt, wovon hier überhaupt nicht die
Rede ist. Nur von Wich mann befindet sich in dem Raume, zwischen die
Prosceniumslogen eingeklemmt, eine Anzahl Statuen, allegorische Wesen
vorstellend, die zufällig auch eine künstlerische Mitwirkung bezeugen. Aber
sie können in dieser Umgebung nicht sonderlich zur Geltung kommen.
Da wir eben das Innere von Schauspiclhäusern besuchen, so erlauben
Sie mir, gleichzeitig einen kurzen Sprung über die Lampen zu machen,
auf die Bühne selbst. Ist dasjenige, was uns dort vorgeführt wird, zum
guten Theil doch ebenfalls dem Bereiche der bildenden Kunst znzuzählen.
Ich erwähnte der Lampen. die die Bühne vom Orchester scheiden und die
Schauspieler mit hellstem Licht zu übcrgiesscn bestimmt sind. Das thun
sie freilich, aber wie? Von unten auf, so dass regelmässig die schönsten
Gesichter aufs Barockste entstellt werden. Die tiefe Wölbung unter den
Augenbrauen, deren Dunkel dem Auge doppelten Glanz geben soll, wird
scharf erhellt, über den Rücken der Nase lagert sich ein schwarzer Schat-
ten, jede Bewegung des Mundes verzerrt das Gesicht zur Grimasse und am
Halse der armen Sängerinnen, die ein Meyerbeersches Orchester zu be-
herrschen verurtheilt sind, entwickelt sich die anatomisch instructivste
Musculatur. Wir sind das gewohnt und denken, es müsse so sein, oder
wir denken gar nichts dabei. Die Herren Baumeister aber, die in unsern
neuen 'l'hcatern Mechanik und Optik tiapoleonisch zu beherrschen und
dem Publikum so über alle Maassen behagliche Buheplätzc zu verschaffen
wissen, sollten füglich auch einmal darauf sinnen. diesen widerwärtigsten
aller Uebelstände zu beseitigen und eine entsprechende Beleuchtung von
oben herab möglich zu machen. Ein andres Unwesen betrifft die Deko-
rationen. Man ist nach und nach dahin gekommen, der Phantasie des
Zuschauers (und der Anregung derselben durch die Dichterworte)- gar
nichts mehr Zllzlltraucn; Alles, wovon in der einzelnen Scene die Rede
ist oder nißhi die Rede ist, muss auch auf der Bühne dargestellt werden.
Dass solche Darstellung in hundert Fällen trotz alles Aufwandes doch
nur kümmerlich und kindlich ist, stört unsre eifrigen Bühnenmeister nicht.
Können diese Dinge und die steten Widersprüche ihres Daseins (in der
Perspektive. in der Licht- und Schattenwirkung etc.) ein kunstbedürftiges
Auge schon wenig erfreuen, so wird der Eindruck völlig widerwärtig,
wenn sich die vollen Menschengestalten zwischen diesen flachen Setz-
stücken hin und wieder bewegen. Es giebt ein absonderlichcs modernes
Stück, König Renes Tochter, in dem die Bühne einen von Felsen um-
schlossenen rcichblühenden Garten darstellt. Die ganze Bühne ist hierin
bei uns mit lauter auf Pappe gemalten Beeten, Büschen, Bäumen etc. an-
gefüllt, und uns wird bei so aufdringlicher Darstellungsweise zugemuthet,
uns durch diese ausgeschnittenen und ausgezackten Stücke, zwischen denen
die Personen der Handlung sich hindurchwinden und auf die sie in aller
Ruhe ihren Schlagschatten werfen, zur Illusion hinreissen zu lassen, zumal
wenn nun gar die blinde Königstochter erscheint und von den flachen
Setzstücken gemachte Blumen, die daran gewachsen sein sollen, abptlückt.
Wir wollen die Kunst der Dekoration keinesweges entbehren, aber wir
wollen sie mit vernünftigem Maasse und vor allen Dingen auf eine wirk-
lich künstlerische Weise angewandt wissen. Doch die Uebelstäirde des
'l'heaters sind so mannigfacll, dass man darüber Bücher schreiben könnte.
ich kehre lieber zu meiner eigentlichen Aufgabe zurück.