eines
Bedürfniss
zweckmässigeran
Unterrichtes
Rlalerai
der
OÜC.
609
Zur Darstellung des menschlichen Körpers und zum Studium desselben
gehört aber zugleich als unentbehrliches Hülfsstudium das der Anatomie-
Aueh diess versäumt der Verfasser zwar nicht, nimmt dasselbe aber. viel-
leicht um alles Pedantische daraus zu entfernen, doch zu Oberflächlich
und willkürlich. Er verlangt eigentlich nur ein durchgeführtes Zeichnen
des Skeletts; das weitere Studium, das er vorschreibt, scheint lediglich nur
darin zu bestehen, dass er eine Anatomiefigur neben das lebende Modell
gestellt und die Muskeln der einen in denen des andern, zuerst bei glei-
cher, dann bei veränderter Stellung des Modells aufgesucht wissen will.
Es bedarf wohl keines Beweises, dass bei solchem Verfahren nur flüchtige
Empiriker gebildet werden können, den Schülern aber das tiefere Ver-
ständniss des Lebens und der Grund der Gestaltung und Bewegung des-
selben fremd bleiben muss. _Gewiss sollen die Künstler nicht zu Aiiato-
inen erzogen werden, gewiss ist die beste Methode des anatomischen Unter-
richts für Künstler sehr schwer darzulegen; wenn aber neben der scharfen
Beobachtung des Lebens (wozu ohnehin ausserhalh der Modellsälc so
wenig Gelegenheit ist) den Schülern keine tiefere wissenschaftliche Be-
gründung des körperlichen Organismus gegeben werden sollte, so würden
wir auch in den Bildern nur selten über Aktliguren hinauskominen. Und
einstweilen sehen wir es leider nur zu häufig, wie wenig unsre Künstler
das Leben verstehen, wie sehr sie das mangelnde Verständniss durch
Abschreiben dessen, was das Modell ihnen darbietet, zu ersetzen suchen,
wie gern sie daher ihre Compositionen von vornherein auf möglichst be-
queme Stellung des Modells durch all jene Darstellungen der Klage,
der Trauer. des Nachsinncns, des Uebcrlegens. des Beschliesscns statt der
wirklichen That einrichten, in wie hohem Grade den seltuen Darstel-
lllllgöll bewegter Action doch der eigentliche Nerv der Bewegung zu fch-
len, wie auf die leidenschaftlichsten Gestalten jenes Hamlefsche "Parteilos
zwlSChell Kraft und Willen" nur allzuoft ganz wohl zu passen pflegt.
Ausserdem nimmt der Verf. auch auf den Unterricht in der Perspective
Rücksicht, scheint ihn aber, da er sich weder über den Modus desselben,
noch über die für ihn erforderliche Zeit näher auslässt, noch beiläuügcr
behandeln zu wollen, was ebenfalls nicht angemessen sein kann, so sehr
auch hier die pedantische Behandlung des Gegenstandes fern zu halten
sein dürfte.
Nach solchen Prämissen wird es nicht befreinden. wenn der Verf. für
den gesammten Kunstunterricht (wobei aber die Ausbildung für die Be-
dürfnisse der besonderen Einzelfiicher ausgeschlossen zu sein scheint) nur
ein Jahr in Anspruch nimmt und den Schüler sogar schon in der zivei-
len Ilälfte desselben zur Composition veranlassen will. Er versichert. dies
durch mannigfache Erfahrung in seiner Wirksamkeit als Lehrer bestätigt
gefunden zu haben. Gegen die Erfahrung wird nicht zu streiten sein;
dass der Schüler in so kurzer Zeit aber vollständig feste Grundlagen,
einen vollkommen zureiclienden Beruf für das Leben gewonnen haben
sollte, scheint nach den obigen Gegeubemerkungen doch sehr zu bezwei-
feln. Zudem wird es jedenfalls auf länger fortgesetzte Uebung und Thä-
tigkeit des Schülers unter den Augen des Meisters, sowie zugleich auf die
besondre Aneignung alles desjenigen, was nicht der figürlichen Malerei
angehört, je nach dein crwählteu besondern Kunstfache ankommen müssen,
Uebci- das fi'ir diese bcsondcrn Fächer Erforderliche spricht sich der Vcrf.
liugler, Kleine Schriften. lll.