Eründung
Künstlerische
und
Ausführung.
künstlerische
581
Bei der Dichtkunst und der Musik scheiden sich Erfindung und Ans-
führung zum Theil wieder wesentlich, und es treten hier zum Theil sehr
eigenthümliche Verhältnisse hervor.
In der Dichtkunst wird die sinnliche Vermittelung (die Ausführung)
vielfach scheinbar ganz aufgegeben, da die allgemeine Bildung einen Jeden
zur Lectüre des Dichtwerkes befähigt. Vollständig pflegt hierauf vor Allem
die prosaisßhe Erzählung (der Roman) berechnet zu sein. Dann tritt je-
doch, als nächste Vermittelung, die Kunst des recitirenden Vortrags hinzu,
der eigentlich für die wahre poetische Composition überall Bedürfniss ist,
indem er dem Dichtwerk erst sinnlich wirkende Existenz giebt und somit
ausführt oder vollendet, was der Dichter selbst nur angedeutet hatte. Der
einfache (unplastisclte) Vortrag des Dichtwerkes kommt indess gegenwär-
tig, sofern es sich dabei um Ausübung einer wirklich künstlerischen Thä-
tigkeit handelt, nur sehr selten zur Anwendung.
ln der Musik sind Composition und Ausführung in der Regel völlig
geschieden, und wiederum wird von den ausführenden Musikern bedeu-
tendes Kunstvermögen und Kunstverstäindniss erfordert, da auch der Com-
ponist die beabsichtigten Intentionen überall nur andeuten, nicht aber,
wie der Architekt, bis ins letzte Detail vorschreiben kann.
Ganz cigenthümlieh ist endlich das Vcrlfltniss der ausführenden
Kräfte zur Composition in den für die {ilastisciie Darstellung für die
Bühne geschaffenen Dicht- oder Musikwerken. Neben der zunächst
erforderlichen sinnlichen Vermittelung durch gesprochener) oder gesun-
genen Vortrag tritt hier, in der plastischen Ausführung, welche gleichzei-
tig von dem Schauspieler verlangt wird, ein ganz neues, von dem Dichter
oder Compouisten zwar empfundenes, aber auf keine Weise vorgebildetes
Element hinzu. Der Schauspieler ist also derjenige unter den nur aus-
führenden Künstlern, der am meisten eigne künstlerische Schöpferkraft
besitzen muss.
Bei den Künsten der Sculptur, der Malerei und der Poesie (bei der
letzteren aber nur, sofern sie einen Gegenstand der Lectüre ausmacht) ist
sonach die gesammte künstlerische 'l'hätigkeit in der des einzelnen Mei-
sters abgeschlossen, während sich bei den übrigen Künsten Erfindung und
Ausführung unterscheiden und die verschiedenartigen Kräfte, auf die es
hiebei ankommt, gleichmässig Pflege und Berücksichtigung erfordern. Es
tritt hiebei aber noch ein drittes Element künstlerischer Thätigkeit ein,
welches ebenfalls, je nach den betreffenden Kunstfachern, auf Berücksich-
tigung Anspruch hat: das der künstlerischen Direction, die bei der
Ausführung von Werken der Architektur, der Gartenkunst, der mehrstim-
migen Musik und der dramatischen Poesie erforderlich ist, Es liegt in
der Natur der Sache, dass diese Direction am Angemesscnsten, wenn nicht
durch den Erfinder selbst, so doch durch Meister des betreffenden Kunst-
faches ausgeübt wird. So ist es auch in der Architektur, der Gartenknnst,
der Musik der Fall; nur bei der dramatischen Poesie hat sich, in Folge
der gesamrnten, von dem Theater schon seit lange eingeschlagenen Rich-
tung, das sonderbare Verhältniss ergeben, dass man hiebei den Dichter,
von dem doch das sicherste Verständniss des Dichtwerkes erwartet werden
muss, am wenigsten in Anspruch zu nehmen pflegt.