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Kritiken
Berichte.
Erörterungen.
der Taillen darin, der mit der linearen Harmonie der Composition aufs
Schönste übereinstimmt. Markvoll und energisch in den Gewandpartieen
durchgeführt, wenn auch verschieden je nach den verschiedenen Stoffen,
gehen die Taillen im Nackten in die Zar-testen Schwingungen über; der
Körper des Christkindes namentlich ist mit ungemein anmuthvoller Weich-
heit behandelt. Und dennoch lässt dies Blatt,- wenn wir die stylisti-
schen Schönheiten durchgesehen haben und nach tieferer Befriedigung ver-
langen, uns kalt. Die Composition ist eben das Erzeugniss einer ideellen
Manier, die sich mit dem Schema begnügt, statt dasselbe zum individuellen
Leben zu erwärmen. Wir sehen nicht ein, warum jene junge Mutter sich
hier, zwischen Blumen und Erdbeeren, so formell repräsentirend nieder-
gelassen hat; wir suchen in der abstrakten Schönheit ihrer Gesichtszüge
vergeblich nach jener innigeren Wärme, die aus einem persönlichen Cha-
rakter, aus dem vollen Gefühle des Moments hervorgeht. Das Zufrieden-
sein mit dem allgemeinen Schema rächt sich im Uebrigen oft genug da-
durch, dass es den Künstler direkt von derNatur, d. h. von der Wahrheit,
abführt, und hat sich auch in diesem Fall gerächt. Einseitig nur jener
Linienharmonie folgend hat Overbeck der h. Jungfrau einen Hals von so
unüirmlicher Länge gegeben, wie ihn nur Parmigianinds verrufene Ma-
donna col collo lungo trägt. Es thut mir leid. dass ich bei einer so
schönen Arbeit zu solcher Ausstellung genöthigt wurde. Aber einem
nicht einflusslosen falschen Princip muss man entgegentreten, wo es sich
eben geltend zu machen sucht.
Der russische Schlitten.
phirt von W. Meyerheim.
Gemalt von Horace Vcrnet. Lithogra-
C. G. Lüderitzßche Kunstverlagshaxxdlung
in Berlin.
(Kunstblatt
1846,
Dies Blatt stellt uns jenes kleine Meisterwerk des berühmten franzö-
sischen Malers dar, welches auf der Berliner Ausstellung des Jahres 1844
allgemeines Aufsehen machte und welches in der That an künstlerischer
Vollendung und Durchhildung seinen grössten Arbeiten an die Seite ge-
stellt werden darf. Eine Steppe, über die ein Schneesturm hinwirbelt;
ein roher Schlitten, mit drei jagenden Pferden bespannt, in dem ein Ofti-
cier sitzt, vor dem Sturm zusammengebückt und in den Mantel gehüllt,
während der bärtige Kutscher in seinem dicken Pelz von der unbehag-
liehen Witterung nichts zu empiinden scheint; Krähen und Raben zu den
Seiten der Pferde und in langem Zuge dem Schlitten nachkrächzend.
Alles Einzelne in bewundernswerther Lebendigkeit vorgeführt und dabei,
was mehr ist, das Ganze in ächter malerischer Stimmung, gewaltsam
winterlichen Hauch athmend, zusammengefasst. Soweit dies Alles durch
eine Lithographie wiedergegeben werden kann, löst das vorliegende Blatt
seine Aufgabe in treftlicher Weise; der auch als Maler (besonders in So]-
datenscenen) rühmlich bekannte Lithograph hat mit einer Feinheit des