Ueber
den
Pauperismus
auch
der
Kunst.
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Nachhaltigstcn seinerVereinzelung enthoben fühlen, in denen er eine be-
ruhigende Bürgschaft gegen plötzlich hereinbrechende Ünglücks- und
Nothfälle finden muss. Es scheint mir in der Natur der Sache zu liegen,
dass eine folgerichtige Bildung dieser Vereine einen sehr nachhaltigen
Einfluss auch in weiteren Beziehungen auf das gesellige oder genossen-
schaftliche Dasein der Künstler und somit auf die Kunst selbst aus-
üben wird.
Ich komme indess auf jene allgemeinere Noth der Gegenwart zurück,
die aus der Ueberfülle der Producenten entspringt. Der Grund des Uebels
liegt hier klar genug zu Tage, die Abhülfe nicht ebenso. Man meint, es
komme jetzt vor Allem darauf an, die jungen Leute nach Möglichkeit von
dem künstlerischen Berufe abzuhalten; die Unglückscligen, die einmal in
dem letzteren drinsteckten, müssten allerdings zusehen. wie sie sich durchs
Leben schlugen; später doch würde die Zahl der Arbeiter sich wieder
verringern. Die Meister und die Vorsteher der Kunstschulen müssten nur
recht streng sein und jeden zurückweisen, der keine geniale Befähigung
hätte. Das ist ein sehr ehrenwerther Grundsatz und nicht bloss für heut,
sondern für alle Zeit zu empfehlen; nur ist die Ausführung eben ein we-
nig schwer. Einmal ist es ein sehr kritisches Ding, die geniale Befähi-
gung, die überdies so tausendgestaltig ist, zu erkennen; dann kommt es
bei der Wahl des Künstlerberufs keineswegs auf diese allein, sondern
wenigstens in gleichem Maasse auch auf die Kraft des Willens an; dann
wird die Lust an der verführerischen Aussenseite der Kunst immer gar
gross bleiben. Endlich ist es überflüssig, von dieser Maassregel für den
vorliegenden Fall ein besondres Heil zu erwarten, da die scheinbar un-
günstige Constellation des Augenblicks wenigstens eben so sehr von der
Vvahl des Berufs abschrecken wird, und da, falls das Blatt sich einmal
Wieder. Wende" 50m8, die jungen Kunstbetlissenen ganz unbedenklich
wieder in Schaaren herbeiströmen würden.
Ich Sehe nur eine" Ausweg, um dem in Rede stehenden Uebel gründ-
lich für jetzt wie für die Folgezeit abzuhelfen, denselben, auf den ich
schon vor Jahren, ehe der Ruf der Noth noch so allgemein war, hinge-
deutet habe: Vielleicht, dass die gegenwärtigen bedrohlichen Zustände
eindringlicher darauf hinweisen; wir wollten sie dann in Wahrheit seg-
nen! Ich meine, dass die Kunst, die zu ihrem Schaden sich seit Jahr-
hunderten von dem Handwerke scharf abgesondert hat, die Pflicht. habe,
mit demselben wieder in nähere Verbindung zu treten, dass zwischen
Kunst und Handwerk ein breiteres Uebergangsmoment geschaffen werden
muss, dass in diesem, d. h. dem Kunsthandwerk, die mittleren Kunst-
talente eine höchst angemessene und glückliche Sphäre finden würden.
und dass sich allen denen, denen die Kunst weder Ehre noch Brod bringt,
hier ein Schauplatz erfolgreichster Wirksamkeit eröffnen kann. Hier fehlt
es an Händen und wird es so lange daran fehlen, bis die von der Natur
darauf hingewiesenen Kräfte sich hier angesiedelt haben. Von oben her-
ab, von den Regierungen, ist Manches zur Ausbildung des Kunsthandwer-
kes geschehen; ab und zu begegnet uns wohl eine erfreuliche Erscheinung
dieses Faches; wie wenig das aber im Ganzen sagen will, beweist der
fast übergrosse Ungeschmack, der darin noch durchweg und vorzugsweise
in den Modeartikeln des heutigen Tages vorherrseht. Seht unsre Mobi-
lien, unsre Geräthe und Geschirre, die gesammte Ornamentik, die unser
tägliches Leben umgiebt, an; wie unendlich selten begegnen wir da einem