Reisenotizel
München.
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ln einem Raume des Festsaalbaues, vorläufig zusammengestellt, Sa],
ich die Bilder mit Ansichten Griechenlands, von Rottman n, die, wie
mir gesagt wurde, zuerst in den Arkaden des Hofgartens (zur Seite der
italienischen Landschaften) gemalt werden sollten und die nun in einer
neu zu bauenden Pinakothek ihre angemessene Aufstellung finden werden.
Es ist eine bedeutende Reihenfolge von Bildern, in verschiedener Technik
ausgeführt, zumeist in der, von den Münchnern vielfach geübten Wachs-
malerei. Es sind Werke eines wunderbar hohen und ernsten Styles, histo-
rische Landschaften im ächtesten Sinne des Worts. Eine grosse elegische
Stimmung, ernste Formen und ein entsprechender, doch je nach der Auf-
gabe sehr verschiedenartiger Ton sind ihnen überall eigen. Es weht den
Beschauer aus diesen Naturbildern der Ernst an, der die Basis eines
grossen Volkslebens ausmacht und zugleich dem Vergangensein desselben
entspricht. Die ergreifcndsten sind die in kühleren Tönen gehaltenen
Landschaften; einige haben glänzende Lichteffekte, auch diese höchst mei-
sterlich, doch der Art, dass hier, zunächst wenigstens, das virtuosenmässig
Frappante vorherrseht. Durchweg sind sie mit höchst meisterlicher Derb-
heit und Kühnheit gemalt. Diese Bilder dürften dem Bedeutendsten der
gesammten Münchener Kunst den Rang streitig machen.
Einige treftliche, in Oel gemalte Landschaften, von andern Künstlern,
sah ich im Lokal des Kunstvereins. ln einfach plastischer deutscher Weise
componirt, waren sie zugleich durch schöne Luft- und Lichtwirkung aus-
gezeichnet Allßh bei ihnen gewährte das gediegen malerische Element
einen wohlthätigeu Gegensatz gegen so viel Conventionelles, das zu Mün-
chen in den sogenannt höheren Kunstfäehern den Vorrang zu behaup-
ten strebt.
Besuch in Kaulbaclfs Atelier. Kleiner Karton zum Sturz Babels
und Ausgang der Stämme in alle Welt. In der Mitte der Babelthizrnr;
davor der König. Ucber ihm Jehovah, dessen Blitz die Götzen zerschmet-
tert, welche fallend den Sohn des Königs erschlagen. Nierhühnerndes Volk
auf den Seiten. Vorn die ausziehenden Stämme: links die Scmiten
(Asien), patriarchalisch feierlich; in der Mitte die Chamitexi (Afrika),
knechtische Götzendiener, rechts das kühne Jägervolk der Japhetiden
(Europa). Höchste symbolische Poesie, aber hier eben in adäquater Form.
Ein Totalgedanke, formell schön gegliedert. Hoher künstlerischer Aufbau,
lebendigster innerer Zusammenhang, selbst zwischen den Zügen (lerAns-
wandernden, schärfste lndividualisirung, Naivetät und Schönheit. Freie
volle Gewaudung, bei der Grösse des Styles. Unglcich entwickelter als
die Hunnenschlacht und ungleich höher als der Fall Jerusalems. i)
i) Ich nehme von dem Obigen, was ich 1845 im Angesichts des kleinen
Gartens geschrieben, Nichts zurück, ob sich auch bei dem grossen Wandbilde,
welches nach dieser Composition in der Treppcnhalle des neuen Museums zu
Berlin ausgeführt wurde, wiederum der Bruch zwischen dem künstlerischen
Gedanken und der künstlerischen Intuition und, neben aller Schönheit der Aus-
führung, selbst wiederum ein Mangel an voller, ernstlichcr Naivetät kund gege-
ben hat. Die, schon im Technischen mehr syinbolisirende Andeutung eines
kleinen Gartens und die reale Gegenständlichkeit einer grossen Malerei sind eben
verschiedene Dinge und stellen verschiedene Bedingungen.