Volltext: Kleine Schriften über neuere Kunst und deren Angelegenheiten (Bd. 3)

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Kuustreise im 
Jahr 
1845. 
grossen Wandbildes bemerklich, welches Delaroche in der lilcole des 
beaux-arts, an der Wand des zu den Preisvertheilungen bestimmten 
halbrunden Saales gemalt hat und welches zu mancher Parallele mit der 
Apotheose Homers von Ingres Gelegenheit giebt. 
Das Bild füllt die ganze Wandiläche aus, die sich über den theatra- 
lisch emporsteigenden Sitzplätzen im Halbkreise umherzieht. Es ist mit 
Oelfarbe auf die besonders zubereitete Wand gemalt und nicht gefirnisst. 
Der Inhalt des Bildes bezieht sich auf den Zweck des Saales. In der 
Mine sjght man eine Säulenhalle und davor eine Richterbank, auf welcher 
als die Richter der Preisvertheilung Iktinos, Apelles und Pheidias sitzen. 
Zu ihren Seiten weibliche allegorische Gestalten, etwa den Musen ver- 
gleichbar: links das Griechenthuin und das christliche Mittelalter, rechts 
das Römerthum und die Zeit der Renaissance. Ganz in der Mitte. im 
Vorgrund, eine Heroine,  eine junge Wilde, fast nackt, von bräunlichem 
Teint und schwarzem aufgelöst tlatterndem l-laar, halb kauernd, dabei 
hastig bewegt und eben im Begriff, einen von ihren Kränzen hinauszurei- 
chen,  vielleicht die jeune Franee, die hier allerdings ganz gut charak- 
terisirt wäre. Zu beiden Seiten des Halbkreises, rechts und links neben 
dieser mittleren Darstellung, zieht sich eine Bank, ganz den wirklichen 
Sitzbänken des Saales entsprechend, umher, auf welcher die Schaaren 
der grossen Künstler des Mittelalters bis zum siebzehnten Jahrhundert, 
sitzend und in Gruppen mit einander sprechend, versammelt sind. Einige 
sind aufgestanden und unterbrechen so die einförmigen Linien. 
Die Anhänger von Ingres, die in Delaroche eben nur einen romanti- 
sehen Naturalisten sehen, haben an diesem Bilde, und besonders an dem 
Mittelstück desselben, Mancherlei auszusetzen, und allerdings muss man 
ihnen in Manchem beistimmen. Die drei Preisrichter  deren Abstammung 
von dem Homer von Ingres vielleicht nicht ganz zu verläugnen ist  bil_ 
den keinen eigentlich grossartigen Mittelpunkt, auch nicht in malerischer 
Beziehung. Jene junge Wilde erscheint in der ganzen Umgebung ziem- 
lich auffallend; auch der Umstand, dass die Gestalt der Renaissance in 
Mitten einer so feierlichen Versammlung den Oberkörper etwas willkürlich 
enthüllt, während sie doch mit schillernden Prachtgewändern zur Genüge 
versehen ist, möchte nicht völlig zu rechtfertigen sein. Dann ist es s0n_ 
derbar, dass ausser jenen drei Alten nur Künstler der neueren Zeitrech_ 
nung vorhanden sind und {lass diese, während die Richter ruhig sitzen, 
während die junge Nike ihre Kränze auszutheilen im Begriff ist, mannig- 
fachen Zwiesprach mit einander führen. Auch ist der Himmel auf beiden 
Seiten etwas zu schwer und trüb, Lücken machend in dem Ensemble. 
Dabei aber tritt in diesen Gestalten überall ein durchaus individuelles 
und zugleich vollkommen edles, höheres Leben zu Tage; es sind Erschei- 
nungen, die durch würdigen Lebensberuf selbst eine höhere Würde gewon- 
nen haben, hohe Vorbilder der jungen Schülerwelt, die sich zu ihren 
Füssen versammeln soll. Nicht minder ist die Linienführung, der Ton, 
die überall warme Färbung durchaus ruhig und edel gehalten und das 
Ganze von wunderbar schöner Gesammtwirkung. Im Gedanken und in 
dessen Folgeriehtigkeit steht das Bild wohl gegen die Apotheose Homers 
zurück; in der Wahrheit, Kraft, Schönheit und Grösse des Lebens ist hier 
Alles erreicht, was dort fehlte.  
Auch muss noch ein seltner Vorzug in Delarochds Wandbilde her- 
vorgehoben werden:  das maassvolle Verhiiltniss zu seiner Umgebung.
	        
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