Raisenotizün.
Paris.
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Auch auf H. Vernet und A. Scheffer soll Ingrcs solchergestalt
bedeutend zurückgewirkt und ihnen über die Einseitigkeit ihres frühgten
Strebens Aufschluss gegeben haben. Für Vernet führt man als Belege
solcher Einwirkung namentlich seine biblischen Bilder an. Ist die That-
sache richtig, so hat sich doch Vcrnet augenscheinlich einem solchen Ein-
flusse nicht unbedingt unterworfen, und jedenfalls hat er sich davon neu-
erlich aufs Vollständigste und Schönste frei gemacht.
A. Scheffer dagegen scheint sich nicht so entschieden emancipirt zu
haben, ist überhaupt auch wohl nicht eine so ursprüngliche Natur. Ich
sah zunächst in seiner Wohnung und in seinem Atelier manches Interes-
sante von seiner Hand, aus früherer und späterer Zeit: Ein Portrait
seiner Mutter, vollkommen und mit grosser Meisterschaft in altholländi-
scher Weise gemalt, etwa einem sehr schönen Barth. van der Helst ver-
gleichbar. Das Bild derselben, auf dem Todtenbette, ihre Enkel seg-
ncnd; in ähnlicher Art, doch mehr als Composition gefasst und daher
etwas freier in der Behandlung; beide Bilder übrigens von ausgezeichne-
tem Helldunkel. Ein Portrait von Schaffens Tochter, auch noch der
holländischen Weise verwandt, aber doch schon den Uebergang zu seiner
späteren Richtung bezeichnend. Ein andres von Scheifers älteren Bil-
dern, das ich in seinem Atelier sah, Herzog Eberhard von Württem-
berg in voller Rüstung, vor ihm sein todtcr Sohn (nach Schillers Ballade)
war vermuthlich das in der Gallerie des Luxembourg unter Nr. 113
verzeichnete Gemälde. Es zeigte eine etwas wüst holländische Naturalistik;
der Kopf des Sohnes war jedoch sehr trefflich.
Ohne Zweifel eins der gediegensten Bilder seiner neueren Zeit ist
dasjenige, welches die Halbiiguren des heil. Augustin und seiner Mutter,
im Momente, da er von ihr bekehrt wird, darstellt. Beide sitzen ruhig
neben einander; sie schaut verklärt empor; er folgt mit seinen Augen, als
0b er suche, den ihrigen. Ruhige Einfachheit, Würde und zarte Empßn-
dung geben diesem Bilde grosse Vorzüge; doch ist es, wie zumeist seine
späteren Bilder, etwas trocken in der Behandlung.
Fast vollendet sah ich eine seiner Darstellungen aus Goethe's Faust,
eine Blocksbergscene, Faust und Mephisto, vor ihnen Gretchens Er-
scheinung, die statt des rothen Streifens am Halse das todte Kind im
Arme trägt (was freilich, wenn man an der Dichtung festhalten will, die
Intention des Dichters stark versentimentalisirt). Das Bild erschien mir
bedeutend in der Auffassung, doch für solchen Gegenstand gar trocken,
kam auch überhaupt nicht recht heraus. Eine Gartenscene des Faust,
Pendant zu dem eben genannten, war erst angelegt. Vorzüglich schön
war die Anlage zu einem Bilde von einfach edler Würde: Dante, auf
seiner himmlischen Wanderung, die verklärte Beatrice erkennend. Noch
manches Andre war im Werke begriffen.
Eigenthümliches Interesse erweckten eine Marmorbüste von Scheffefs
Mutter und eine zweite weibliche Büste, beide ebenfalls von seiner Hand
und beide sehr sinnig und geschickt behandelt.
Als den wirksamsten und bedeutungsvollsten Gegensatz gegen Ingres
scheint man Delaroche zu betrachten. Die Art urfd Weise dieses
Gegensatzes macht sich vielleicht am Entschiedensten bex Betrachtung des