Reisenotizeu.
Paris.
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Treppenaufgang empor. Ueber den vorspringenden Ecken des Gebäudes
erheben sich leichte 'l'hürmchen, in der Form von Taberuakel-Aufsätzen.
Die ganze Schauseite gewährt übrigens, trotz jener Ucbelstände, bei wür-
digen Verhältnissen, immer einen sehr stattlichen Eindrllßk- Der Portikus
soll noch eine reiche Statuengruppe im Giebel, farbigen Schmuck von Lava-
malerei im Friese und eine sehr reiche Ausstattung von Lavagemälden im
Grunde, an der Vorderwand der Kirche, erhalten, was jenen wirksamen
Gesammteindruck wesentlich steigern dürfte.
Das Innere hat wiederum gedoppelte Seitenschiffe, mit uncanellirten
ionischen Säulen von Stuckmarmor und geraden Gebälken. Dem Eindrücke
der lastenden Oberwand des Mittelschities ist der Architekt dadurch ent-
gangen, dass er über der unteru Säulenstellung eine zweite, von korinthi-
Scher Ordnung und zur Seite derselben eine Gallerie (in der Breite des
inneren Seitenschiffes) angeordnet hat. Der Fries, der beide Sänlenstel-
lungen trennt, ist freilich sehr hoch, auch noch wandartig; er ist zur Auf-
nahme von Malereien bestimmt, die den Eindruck der Schwere hoffent-
lich aufheben werden. Die äusseren Seitenschitfe sind niedrig, durch
Gitter abgeschlossen und zu Kapellen eingerichtet; die Fenster, mit taber-
nakelartiger Umfassung, erheben sich über den Altären der Kapellen und
ihre Glasgemälde nehmen die Stelle des Altarbildes ein, was ein glück-
licher, geistreich durchgeführter Gedanke ist. Die Absis hat eine sehr
eigeuthürnliche Anordnung, indem sie der Breite des Mittelschities und der
beiden inneren Seitenschitfe entspricht. Vermuthlich hat der Architekt
hiedurch eine bedeutende perspektivische Wirkung erreichen wollen. lch
kann dies nicht entschieden beurtheilen, da dem Halbkuppelgeivölbe der
Absis noch die für dasselbe bestimmte Malerei fehlte, dasselbe somit noch
nüchtern erschien; ich glaube aber, dass ein perspektivisches Spiel der
Art eher seltsam als gross erscheinen und dass es, allen Effekt zugegeben,
doch in keiner Weise den Eindruck der Ruhe gewähren wird, den die
organische Ausrundung in der Breite des Hauptraumes bei allen alten Ba-
siliken hervorbringt. Der Rückblick aus der Absis in die Schiffe, mit
ihren durchweg reinen Formen und der den letzteren glücklich einge-
fügten Verwendung christlicher Symbole und Embleme, ist dagegen sehr
ansprechend. Doch ist auch in diesen vorderen Räumen leider noch ein
sehr ungünstig wirkender Umstand zu erwähnen. Dies betrifft die Decken-
anordnung. Das Mittelschiff hat offnes Balkenwerk und darüber die de-
korirte Dachschräge, während die Gallerieeu über den inneren Seitenschiffen
eine horizontale Kassettendecke haben. Man fühlt und begreift die Noth-
wendigkeit jener nicht, da es doch nicht das wirkliche Dach ist, auch
dasselbe nicht vorstellen kann; man würde den Eindruck einer ungleich
mehr harmonischen Ruhe erhalten haben, wenn das Mittelschiff eben auch,
in naturgemässer Weise, mit einer horizontalen Decke versehen wäre.
Dann ist auch unter jenen Gallerieen, über dem untern Raume der inne-
ren Seitenschitfe, eine horizontale Decke angewandt, über den äusseren
Seitenschiffen aber wiederum nicht; hier sind es schräge Pultdächer in der
Querrichtung des Gebäudes, je zur Bezeichnung der einzelnen Kapellen,
in welche die äusseren Seitenschiffe abgetheilt sind. Auch dies ist ebenso
disharmonisch.
Der Bau von St. Vincent-de-Paul ist unstreitig ein sehr merkwürdi-
ges Ereigniss in der Geschichte der neueren Architektur, Aber er zeigt
doch nur, was auch sonst schon aus so manchen der künstlerisch durch-