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Kunstreise im Jahr
1845.
diese Interessen ist in Bayern und namentlich in München eine Fülle von
Werken entstanden, wie die Geschichte der Kunst unter ähnlichen Ver-
hältnissen kaum ähnliche Reihenfolgen kennt. Für die Ausübung monu-
mentaler Kunst. mit Rücksicht auf die ernstesten und erhabensten Zwecke
des Lebens, hat sich hier eine so umfassende Gelegenheit dargeboten, wie
sie seit lange nicht vorhanden gewesen ist. Der grosse Cyclus der durch
den König von Bayern veranlassten Werke bildet einen der merkwürdig-
sten Abschnitte in der Entwickelungsgeschichte der gesammten neueren
Kunst.
Doch kann ich die Bemerkung nicht unterdrücken, dass, um die Kunst
überhaupt auf den Gipfel der Vollendung zu führen, die monumentale
Tendenz allein nicht genügt. Es ist eine Wechselwirkung nöthig zwischen
der streng erhabenen Consequenz der letzteren und denjenigen Kunstrich-
tungen, die aus der naiven Hingabe an die Mannigfaltigkeit des natür-
liehen Daseins entstehen. Wir können heutiges Tages das weite Feld,
welches die Kunst des siebzehnten Jahrhunderts erobert hat, nicht weg-
läugnen, nicht lediglich zu den Richtungen des zwölften bis funfzehnten
Jahrhunderts oder höchstens zu denen vom Anfange des sechzehnten zu-
rückkehren. Es liegt wie eine noch unerfüllte Ahnung vor uns, dass es
eine Auifassungs- und Behandlungsweise der Kunst geben müsse, in wel-
cher Beides zum höheren Einklange sich gegenseitig auflöse.
Wohl wäre den grossen Bestrebungen des Königs von Bayern zu wün-
schen gewesen, dass dort von andrer Seite her auch die zweite Richtung
der Kunst mit. einigem Nachdruck gefördert worden wäre. Dies ist aber,
sofern es auf wesentlich einflussreiche und charakteristische Erscheinungen
ankommt, nicht der Fall gewesen; wo sich andre Kräfte, andre Mittel mit
denen des Königs vereinigt, sind sie vielmehr vollständig in die von ihm
eröffnete Bahn mit hineingezogen worden. Dic Stadt München z. B. hat
auf ausserordentliche Weise an jenen Unternehmungen Theil genommen, I)
aber es sind dies nur grossartige Beihülfen zu der allgemeinen, von dem
Könige befolgteu Tendenz gewesen, ohne das Gepräge einer vielleicht
mehr individuellen Richtung. Es dürfte überhaupt in Frage kommen, in-
wieweit alle diese grossen Bestrebungen auf einem wirklichen, lokal volks_
thümlichen Kunstbedürfniss beruhen, und inwieweit von ihnen eine Rück-
wirkung auf die allgemeine Volksbildung stattgefunden hat oder zu erwarten
ist. Wenigstens wird das Letztere wohl nur erst durch die Zukunft
dargelegt werden können.
Uebrigens haben, was ich hier beiläufig bemerken muss, jene grossen
und mannigfaltigen monumentalen Unternehmungen zugleich eine Mannig-
faltigkeit des technischen Kunstbetriebes, einen Eifer in dessen möglichst
zweckgemässer Durchbildung erzeugt, dass dem Anschein nach hieven
vielleicht zunächst eine Rückwirkung auf das Leben zu erwarten sein
möchte. In der Malerei ist eine Reihe von Behandlungsarten durchge-
1) Die kürzlich erschienene Schrift des ersten Bürgermeisters von München,
Dr. Bauer: "Grundzüge der Verfassung und Vermögensverwaltung der Stadtge-
meinde München", enthält u. A. die Angabe, dass im Lauf der letzten 25 Jahre
von der städtischen Behörde auf das Bauwesen im Allgemeinen eine Summe von
c. 2,797,634 I1. (also jährlich im Durchschnitt von c. 111,905 11.) und auf M0-
numente und zur Verschönerung der Stadt eine Summe von c. 3,284,539 il.
(also jährlich im Durchschnitt von c. 131,381 H) verwandt sind.