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Kunstreise
Jahr
1845.
stände des eignen Gemüthes zu versenken, und dies ist es, was vornehm-
lich die Schule erfasste und durchbildete; die Werke, die so grossen Bei-
fall fanden, waren mehr oder weniger Situationen des Gemüthslehens.
Seitdem aber ist eine Zeit der Bewegung, des Strebens und Dranges,
selbst des heftigsten geistigen Kampfes eingetreten, die sich in der Kunst
ebenfalls wider-gespiegelt sehen will; man verlangt, wenn auch nicht
Tendenzbilder (wie es allerdings von einigen wenigen Unverständigen ge-
schieht), so doch die Vergegenwärtigung von Gestalten, welche ihr Dasein
in belebter That dokumentiren oder wenigstens ihre Befähigung dazu dar-
legen; man will sich zu eigner Energie an den energischen Wesen einer
idealen Welt kräftigen. Die Düsseldorfer aber haben mehr oder weniger
an jener, zur Gewohnheit gewordenen Auifassungs- und Behandlungsweise
festgehalten, und es scheint in der Natur der Sache zu liegen, dass eine
contemplative Richtung nicht zur äusserlich kraftvollen Bethätigung führt.
Das allgemeine Bedürfniss des Momentes will sich von solchen Darstel-
lungen nicht mehr befriedigt erklären.
Dass die Düsseldorfer Schule, wenn vielleicht auch mit einzelnen Aus-
nahmen, der Bewegung der Zeit nicht gefolgt ist, dass sie in einer, bei
allen unleugbaren Verdiensten doch einseitigen geistigen Richtung verharrte,
wird wohl als eine Schuld angesehen werden müssen, aber die Schuld ist
den einzelnen Mitgliedern nicht vorzugsweise zur Last zu legen. Gerade
das, was die Schule zu so schneller und eigenthümlicher Entwickelung
gebracht hat, die Gemeinsamkeit der Bestrebungen und die Concentra-
tion derselben auf verhältnissmässig wenige Kreise, musste einer weiteren
Bewegung eher hinderlich als förderlich werden. Man erfreute sich der
Erfolge, ohne eine Voraussicht dessen, was bei veränderten Bedürfnissen
nothwendig eintreten musste. Man sah die Schule sich mehr und mehr
entfalten, die Schülerzahl in ungewöhnlichem Maasse anwachsen, ohne zu
erwägen, dass zur Garantie ihrer Zukunft nunmehr eine breitere Unterlage,
eine mehrseitige Ausbildung, eine wenn auch nur massige Fortentwickelnng
des Systems, auf welchem die Schule gegründet ist, erforderlich gewesen
wäre. Man. liess diese grossc Anzahl von Künstlern fort und fort in ihrer,
wenn ich es so nennen darf: sizbjectiven Weise schatfen, so lange nur das
Publikum daran seine Nahrung fand, ohne diese Summe geistiger Thätig-
keit durch die Ertheilung energisch volksthümlicher Aufgaben zugleich
auf ein objectiv freies, weiteres Feld hinüherzuleiten; wenigstens war es
eine im Ganzen nur geringe Zahl von Aufgaben, die von ausserhalb an
die Schule gekommen sind, und diese bestanden zumeist aus kirchlichen
Aufgaben, zu deren Lösung wieder nur ein geringer Theil der Künstler-
sich berufen fühlte. Man hat die Schule, die doch kein Privat-Institut
ist, zu sehr sich selbst überlassen, und darf ihr mithin die Folgen nicht;
einseitig zur Last legen.
Es scheint aber noch keincsweges zu spät, um das Versäumte nach-
zuholen, und ich glaube, dass ein solches Entgegenkommen von den Düssel-
dorfer Künstlern selbst aufs Freudigste würde aufgenommen werden. Die
bedeutendsten und wichtigsten Erfolge in diesem Betracht würde ich mir
von dem Heranziehen auch dieser Schule zur Ausführung öffentlicher, volks-
thümliche Zwecke erfüllender Aufgaben versprechen; ich bin überzeugt,
dass die Ertheilung nur weniger Aufgaben solcher Art, dass schon die
Betheiligung Lessings, den ich als das innere Ilerz der Schule betrachten
muss, die frischeste geistige Bewegung im ganzen Umfange der letzteren