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Jahr
Kunstreise im
1845.
Abdankung Knien-r Kai-L's V. von Gallait ist aber jedenfalls das Gross-
artigste und Gediegenste unter den hieher gehörigen Werken.
Ich muss indess noch einmal, und zwar mit einer ebenfalls nicht un-
wichtigen Bemerkung, auf das Museum von Versailles zurückkommen. Es
führt den Namen eines historischen Museums, und insofern allerdings mit
Recht, als es historische Darstellungen enthält. Eine künstlerische Bele-
bung und Vergegenwärtigung der Geschichte Frankreichs, wie man nach
der ganzen Anlage des Museums schliessen möchte, ist in diesen Darstel-
lungen aber nicht gegeben, es sind nur Bruchstücke einer solchen,
nicht der etwa zufälligen Unvollständigkeit halber, sondern dem Princip
nach. Die Inschrift, die mit grossen goldnen Buchstaben den Eingang
des Schlosses schmückt, spricht dies Princip unumwunden aus; sie lauter;
„A toutes les gloires de la Franceß Das ist freilich ganz dem fran-
zösischen Nationalcharakter entsprechend. „Jeglichem Ituhme Frank-
reichs" ist das Museum gewidmet, dem Ruhme. der ein Besitzthum aus-
macht, auf welches man stolz ist, wie auf kein andres, dem Ruhme, de;
zur Nacheiferung unablässig antreiben und anspornen soll. Wohl ist es
etwas Edles um den Ruhm und um das Ringen danach; aber er füllt das
Leben nicht aus, und die ruhmvollen Tage füllen die Geschichte nicht
aus. Auch soll die Geschichte unsre Leidenschaft nicht erregen: sie soll
uns belehren, dass wir Herr werden über die Leidenschaft. Die Geschichte
ist nicht allein gross in den Thaten des Glanzes; auch in denen des
passiven Heroismus, auch in denen {des Schreckens und der Noth. Sollen
wir die Geschicke des Vaterlandes kennen lernen und uns an diesen auf;
erbauen und zu eignem Thun kräftigen, so müssen wir nicht allein die
sonnigen Höhen unsrer Geschichte besteigen, auch mit der geheimnissvol-
len Dämmerung der Wälder, auch mit dem Grauen der Abgründe müssen
wir uns vertraut machen. So vermissen wir unter den Bildern von Ver-
sailles gar manche Sccne der französischen Geschichte, deren Erhabenheit
uns wohl berechtigt hätte, sie in jenem Museum dargestellt zu finden. Um
nur ein Beispiel aus Hunderten anznführen, bemerke ich, dass Steuberfs
allgemein bekannten hQehn-agisches Bild, Napoleon in dem furchtbar ent-
scheidenden Momente der Schlacht von Waterloo, nicht in das Museum
aufgenommen ist und auch kein andres an diesen Moment, keins an den
heroischen Rnf: „Die Garde stirbt, sie ergiebt sich nicht!" erinnert.
Ein deutsches historisches Museum würde von vornherein unter
einem wesentlich andern Gesichtspunkte gegründet werden müssen. Bei
uns würde, dem deutschen Nationalcharakter entsprechend, von vornherein
auf die moralisch veredelnde Bedeutung der Geschichte, aufDarste-llungen,
die den inneren Kern des geschichtlichen Lebens enthielten, die das pee-
tische Element des Volkslebens zum Bewusstsein brachten, ausgegangen
werden. Wir würden dem Werk eine andre Inschrift setzen müssem
Auch künstlerisch würde mit andern Grundsätzen an die Behandlung des
Einzelnen gegangen werden; in der deutschen Kunst herrscht, im Gegen-
satz gegen das genremässige Element, gegen die Richtung auf das einzeln
Zufällige, wovon die neueren französischen Künstler ausgegangen sind,
mehr grosser Styl, mehr die Richtung auf das Allgemeingültige vor. In
solcher Weise ist auch seither die Mehrzahl der historischen Aufgaben,
die in Deutschland vorgekommen, von unsern Malern behandelt worden,
so z. B. in den grossen Wandmalereien mit Darstellungen aus der Ge-
schichte Karls des Grosscn, des Friedrich Barbarossa und Rudolph's von