Vorlesung über das historische Museum zu Versailles. 483
besonders die aus der Epoche der Kaiserhcrrschaft, werden wieder in
jenem landschaftlichen Sinne behandelt, aber der Kaiser und sein Gefolge
nehmen jetzt, wie Ludwig XIV. vor Zeiten, die charakteristische Stelle
im Vorgrund ein. Später, und besonders bei den in jüngster Zeit ge-
malten Napoleonischen Schlachten, verschwindet der landschaftliche Ueber-
blick des Ganzen mehr und mehr; nur der Kaiser und sein Stab, gele-
gentlich in irgend einer anekdotischen Situation, bleiben übrig; Kostüm
und Physiognomik, Virtuosität der Behandlung werden die Hauptsache.
In solchen Bildern ist namentlich Horace Vernet schon ausgezeichnet.
Elemente zu einer geschichtlichen Kunst sind in all diesen Bildern ver-
streut; sie selbst in ihrer eigenthünrlicheu Bedeutung ist darin noch nicht
ausgebildet.
Die Zeit der Restauration wird im Wesentlichen nur durch einige
Portraits, mit der Andeutung militärischer Paraden im Hintergründe, be-
zeichnet. Dann kommt die Gründung der Juli-Dynastie. Die Ereignisse
derselben werden wieder in grossen iigurenreichen Bildern verherrlicht,
aber wieder haben diese Arbeiten nur einen nüchternen Memoiren-Charakter;
es sind grosse Sammlungen von Portraits, jeder Einzelne möglichst genau
und erkennbar lringezeichnet, aber kein Athem eines grossen geschicht-
lichen Lebens darin. Es scheint, als 0b die französische Malerei, trotz
all ihrer Bestrebungen, über das Aufsammcln einzelner Züge, die zu einer
geschichtlichen Kunst führen könnten, nicht hinaus kommen sollte.
Aber schon ist die Meisterhand da, die diese zerstreuten Züge zu
einem Ganzen von höchster, wirkungsreichster Bedeutung vereinigt. Ho-
race Vernet, bis dahin nur als ausgezeichneter, geistvoller Virtuos in
seiner Kunst bekannt, malt die neusten kriegerischen Thaten der Frau-
zosen, namentlich die Ereignisse ihres algierischen Krieges, und das Fach
der historischen Malerei, in der ganzen Eigenthümlichkeit und in der
ganzen Grösse seiner Bedeutung, ist gewonnen. In diesen Bildern ist
nichts mehr von dem Bülletin- oder Memoiren-Charakter, nichts mehr von
einer leeren tableauartigen Andeutung, von inhaltloser Repräsentation, von
theatralischem Pomp, von anekdotischer Spielerei. Mächtig und ergreifend
entwickelt sich die Thnt über das grosse figurenreiche Bild hin, Alles
durchweg mit einer Fülle, Lebendigkeit und WVärme vorgetragen, dass
man es mit Händen greifen könnte, Alles in irischer Naivetät, wohlgeord-
net, so dass das Bild ganz aus sich spricht, und dabei zugleich soweit
es wenigstens die historische Aufgabe verstattete in jener Haltung und
Gemessenhcit, welche durch die Anforderung des höheren Knnststyles be-
dingt ist. Das Bild z. B., welches den Aufbruch zum Sturm auf Constan-
tine in früher Morgenstunde darstellt, hat in seiner Gesammtwirkung eine
so gehalten ernste, fast möchtf ich sagen: tragische Stimmung, dass man
aufs lebendigste die ganze Bedeutung des Momentes, auf den ein entschei-
der Kampf folgen wird, fühlt. Ein eigenthürnliches Interesse gewinnen
diese algierischen Bilder natürlich durch die grösserc Mannigfaltigkeit des
Kostüme. Vor Allem gilt dies von einem der jüngsten hieher gehörigen
Gemälde, welches den Ueberfall der Smalah, des Lagerschatzes des Abd-el-
Kader, der von den leichten Chasseurs zu Pferde unter Anführung des
Herzogs von Aumale genommen wurde, (Iarstellt. Das Bild ist 66 Fuss
lallg- Man sieht, wie die französischen Reiter gegen das Lager stürmen
und dasselbe in geschickter Schwenkung umzingeln. Streitlustige Araber
werfen sich ihnen entgegen. In der Mitte des Bildes ist Alles in wilder