Volltext: Kleine Schriften über neuere Kunst und deren Angelegenheiten (Bd. 3)

historische 
Vorlesung über das 
ZU 
Museum 
Versailles 
etc. 
481 
anlassung gewonnen? Natürlich lassen wir hiebeijene grossen Reihenfolgen 
blosser Portraitbilder ganz bei Seite; wer nicht durch stoftliches Interesse 
angezogen wird, pflegt ohnehin die Portraitgallerieen schneller zu durch- 
schreiten. Zur Beantwortung der oben aufgestellten Frage aber scheiden 
wir die Masse der Gemälde, in denen geschichtliche Scenen vergegenwär- 
tigt sind, sofort in zwei Hauptabtheilungen: in diejenigen, deren Verfer- 
tiger Zeitgenossen der auszuführenden Darstellung waren, und in diejeni- 
gen, deren Gegenstände einer schon vergangenen Zeit angehörten. Der 
Unterschied zwischen beiden Abtheilungen ist nicht unerheblich. Bei den 
Bildern der ersten Abtheilung war ein Bekanntes, theils aus unmittelbarer 
Anschauung, theils doch aus der lebendigen Zeitstimmung heraus, wieder- 
zugeben; bei denen der zweiten kam es auf geistige Wiederbelebung nicht 
mehr vorhandener Zustände an. Bei den Bildern der ersten Abtheilung 
konnte über die äussere Gestaltung nicht wohl ein Zweifel sein, aber die 
Fülle der einzelnen realen Anforderungen konnte die eigentlich künst- 
lerische Schöpferkraft lähmen; bei denen der zweiten war diese Schöpfer- 
kraft minder beschränkt. aber zugleich war die Herstellung einer realen, 
historisch charakteristischen Existenz bei Weitem schwieriger. 
Die Bilder der ersten Abtheilung, die von Zeitgenossen der bezüg- 
lichen Begebenheiten ausgeführten, gewähren eine ganz belehrende Ueber- 
sieht über die Versuche, welche zu einer eigentlich geschichtlichen Ma1ci-ci 
geführt haben. Sie beginnen mit der Epoche König Ludwigs XIV. Ich 
habe die künstlerische Richtung derselben schon vorhin mit kurzer An- 
deutung bezeichnet. Die grösseren dieser Gemälde gehören eigentlich noch 
ganz dem Fache der Bildnissmalerei an. Es sind Darstellungen ceremo- 
niöser Feierlichkeiten, die im innern Heiligthum des Hofes vor sich gehen, 
oder Scenen, die den König als Schützer der Künste und Wissenschaften 
cder die ihn gelegentlich auch an der Spitze seines militärischen Stabes 
zeigen. Alles ist hier nach strengster Etikette geregelt; der Künstler 
 zumeist Charles Lebrun  arbeitete unter den Augen des Ober- 
Ceremonienmeisters; jeder Person musste in dem Bilde ihr gebührenden 
Recht geschehen, jede, soviel es nur irgend ging, ihr Gesicht dem Be- 
schauer en face zuwenden. Gelegentlich ist auch noch eine Victci-ia cdcr 
Fama im nicht völlig etikettemässigen Kostüm zwischen die Alongen- 
Perrücken gemischt. Kleinere Bilder der Zeit enthalten zumeist land- 
schaftliche Darstellungen mit mehr oder minder klarer Andeutung eines 
wichtigen kriegerischen Vorganges, während sich im Vorgrunde wiederum 
stets der König und sein Gefolge repräsentirt. Van der Meulen hat 
eine beträchtliche Anzahl solcher Bilder mit ganz liebenswürdiger Naivetät 
gemalt. Historisch, im tieferen Sinne dieses Worts, sind all jene Gemälde 
freilich kaum zu nennen. 
Die Zeit König Ludwig's XV. ist viel ärmer an Darstellungen der Art. 
Man lebte dem momentanen Genusse und hatte kaum noch zur Repräsen- 
tation Zeit und Neigung. Neben einigen kleinen Bildern, die, ähnlich wie 
die oben genannten, auf kriegerische Ereignisse bezüglich sind, hat man 
an andern Stellen die erlauchten Personen des Hofes aus mythologischen 
Wolkenscenen herauszusuchen. Auch die Regierung König Ludwigs XVl. 
hat wiederum nur ein Paar portraitartige Scenen hinterlassen. 
Die Zeit der Revolution war einer künstlerischen Darstellung ihrer 
Thaten und Ereignisse zunächst ebenfalls nicht günstig. Sie hatte sich 
Kugler, Kleine Schriften. lll. 31
	        
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