historische
Vorlesung über das
ZU
Museum
Versailles
etc.
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anlassung gewonnen? Natürlich lassen wir hiebeijene grossen Reihenfolgen
blosser Portraitbilder ganz bei Seite; wer nicht durch stoftliches Interesse
angezogen wird, pflegt ohnehin die Portraitgallerieen schneller zu durch-
schreiten. Zur Beantwortung der oben aufgestellten Frage aber scheiden
wir die Masse der Gemälde, in denen geschichtliche Scenen vergegenwär-
tigt sind, sofort in zwei Hauptabtheilungen: in diejenigen, deren Verfer-
tiger Zeitgenossen der auszuführenden Darstellung waren, und in diejeni-
gen, deren Gegenstände einer schon vergangenen Zeit angehörten. Der
Unterschied zwischen beiden Abtheilungen ist nicht unerheblich. Bei den
Bildern der ersten Abtheilung war ein Bekanntes, theils aus unmittelbarer
Anschauung, theils doch aus der lebendigen Zeitstimmung heraus, wieder-
zugeben; bei denen der zweiten kam es auf geistige Wiederbelebung nicht
mehr vorhandener Zustände an. Bei den Bildern der ersten Abtheilung
konnte über die äussere Gestaltung nicht wohl ein Zweifel sein, aber die
Fülle der einzelnen realen Anforderungen konnte die eigentlich künst-
lerische Schöpferkraft lähmen; bei denen der zweiten war diese Schöpfer-
kraft minder beschränkt. aber zugleich war die Herstellung einer realen,
historisch charakteristischen Existenz bei Weitem schwieriger.
Die Bilder der ersten Abtheilung, die von Zeitgenossen der bezüg-
lichen Begebenheiten ausgeführten, gewähren eine ganz belehrende Ueber-
sieht über die Versuche, welche zu einer eigentlich geschichtlichen Ma1ci-ci
geführt haben. Sie beginnen mit der Epoche König Ludwigs XIV. Ich
habe die künstlerische Richtung derselben schon vorhin mit kurzer An-
deutung bezeichnet. Die grösseren dieser Gemälde gehören eigentlich noch
ganz dem Fache der Bildnissmalerei an. Es sind Darstellungen ceremo-
niöser Feierlichkeiten, die im innern Heiligthum des Hofes vor sich gehen,
oder Scenen, die den König als Schützer der Künste und Wissenschaften
cder die ihn gelegentlich auch an der Spitze seines militärischen Stabes
zeigen. Alles ist hier nach strengster Etikette geregelt; der Künstler
zumeist Charles Lebrun arbeitete unter den Augen des Ober-
Ceremonienmeisters; jeder Person musste in dem Bilde ihr gebührenden
Recht geschehen, jede, soviel es nur irgend ging, ihr Gesicht dem Be-
schauer en face zuwenden. Gelegentlich ist auch noch eine Victci-ia cdcr
Fama im nicht völlig etikettemässigen Kostüm zwischen die Alongen-
Perrücken gemischt. Kleinere Bilder der Zeit enthalten zumeist land-
schaftliche Darstellungen mit mehr oder minder klarer Andeutung eines
wichtigen kriegerischen Vorganges, während sich im Vorgrunde wiederum
stets der König und sein Gefolge repräsentirt. Van der Meulen hat
eine beträchtliche Anzahl solcher Bilder mit ganz liebenswürdiger Naivetät
gemalt. Historisch, im tieferen Sinne dieses Worts, sind all jene Gemälde
freilich kaum zu nennen.
Die Zeit König Ludwig's XV. ist viel ärmer an Darstellungen der Art.
Man lebte dem momentanen Genusse und hatte kaum noch zur Repräsen-
tation Zeit und Neigung. Neben einigen kleinen Bildern, die, ähnlich wie
die oben genannten, auf kriegerische Ereignisse bezüglich sind, hat man
an andern Stellen die erlauchten Personen des Hofes aus mythologischen
Wolkenscenen herauszusuchen. Auch die Regierung König Ludwigs XVl.
hat wiederum nur ein Paar portraitartige Scenen hinterlassen.
Die Zeit der Revolution war einer künstlerischen Darstellung ihrer
Thaten und Ereignisse zunächst ebenfalls nicht günstig. Sie hatte sich
Kugler, Kleine Schriften. lll. 31