Vorlesung
über
historische
das
Museum
ZU
Versailles
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Vermählung; Tritonen und Nereiden umtanzcn in wilder Lust das Schiff,
von dem herab sie den Boden Frankreichs betritt; alle Wohlthätiggn Gott-
heiten vereinigen sich, den Segen ihres Regiments anzudeuten. Man sieht,
das Ganze ist ein poetischcs Lobgedieht auf die Königin, nach dem Ge-
schmacke der Zeit, noch immer keine eigentliche Geschichte.
Mehr schon nähern sich einer wirklichen geschichtlichen Malerei die
Darstellungen, welche unter König Ludwig XIV. von Frankreich und zur
Verherrlichung seiner Herrscherthätigkeit ausgeführt wurden, obgleich auch
hier der Gedanke noch fern liegt, das innere eigenthümliche Lebensge-
fühl der Zeit zum Ausdruck zu bringen, und die Darstellungen im We-
sentlichen nur auf äussere Schaustellung berechnet sind. Aber es war
doch die Anregung gegeben, und wie überall das Beispiel Ludwigs XIV.
mächtig auf die Fürsten seiner Zeit wirkte, so auch in dem Bestreben,
den Glanz des fürstlichen Hauses durch bildliche Darstellung der histori-
schen Beziehungen desselben zu verewigen. Wenig bekannt, aber höchst
bemerkenswerth sind die Hautelisse-Tapeten, in denen die Siege Friedrich
YVilhelnrs, des grossen Kurfürsten, über die Schweden in grossen figuren-
reichen Darstellungen gewirkt sind. Kurfürst Friedrich lll. liess dieselben
am Ende des siebzehnten Jahrhunderts, ehe er sich noch die preussisehe
Königskrone aufsetzte, in Berlin anfertigen; sie befinden sich im könig-
liehen Schlosse hieselbst. Die Arbeit ist in ihrer Art vortrefflich, die
Darstellung mit entschieden historischem Sinne behandelt. Die Tapete
z. 13., welche den winterlichen Marsch über das zugefrorene kurische Hai?
zum Gegenstande hat, führt das merkwürdige Ereigniss in lebendiger
Frische vor unsern Augen vorüber. Die Wandgemälde im grossen Mar-
morsaale des königlichen Schlosses zu Potsdam, die sich ebenfalls auf die
Thaten des grossen Kurfürsten beziehen, sind dagegen wieder in mehr
allegorisirender Weise behandelt.
Das achtzehnte Jahrhundert nimmt die Bestrebungen solchel- Ar; nur
in sehr geringem Maasse auf. Erst mit dem Schlusse desselben erwacht
aufs Neue die historische Richtung der Kunst, um sodann, allmählich fort-
schreitend, zu sehr eigenthümlichen Resultaten zu gelangen.
Die jüngste Zeit hat dieser Richtung der Kunst mancherlei bedeutende
und anerkennungswürdige Aufgaben gebracht. Keine der dahin gehörigen
Unternehmungen aber war umfassender, keine dem Plane nach grossartiger,
als die Gründung des historischen Museums zu Versailles. Mit stau-
nenswerthcr Schnelligkeit ist hier ein Ganzes von fast unermesslichem
Umfange ins Leben geführt worden. Erst König Louis Philipp hat den
Gedanken dazu aufgenommen. Das mächtige Schloss von Versailles, einst
der Wohnsitz der glänzendsten königlichen Majestät, war verwüstet und
verödet; furchtbare Stürme waren darüber hingegangen und hatten dem
Gebäude und den Prnnkräumen desselben ihre traurigen Spuren aufge-
drückt. Es musste darüber entschieden werden, 0b man das Denkmal
einstiger Herrlichkeit gänzlichem Verfalle preisgeben oder ob und zu wel-
chem Zwecke man dasselbe wieder herstellen wollte. Schon sprach man
davon, dass es zu Kasernen, zu Fabriken u. dergl. einzurichten sei. Der
König entschied sich dafür, den stolzen Palast in einen Tempel des fran-
zösischen Nationalrnhmes umzuwandeln. Die Wohnzimmer Königs Lud-
wig's XlV., die von der eisernen Faust der Revolution nicht unberührt
geblieben waren, wurden mit eifriger Genauigkeit in ihrem ursprünglichen
Zustande wieder hergestellt, alle übrigen Räume, nur Kapelle und Theater